Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Zeilen stünde, sei ein Vorkommnis mit einem Bilde Schneiders, einem Bilde, welches offenbar politische Signalwirkung habe. „Auf zum Kampf“ hieße es. Es sei sozusagen ein Bild, dass gewissen linksgerichteten Kreisen besonders in den Kram passe, ein Bild, vor dem sich, weil es Schneider geschafft habe, es in der jüngsten Kunstausstellung zu platzieren, regelmäßig Sozialdemokraten versammelten und mit geballten Fäusten und ihrem Ruf „Rot Front“, die rote Fahne grüßend, von dannen gingen. Er nun, Sterneck, der davon wisse, habe es für opportun gehalten, in dem bewussten Brief an den Maler davon nichts zu erwähnen, stattdessen vorzuschlagen, den Maler und die Kreise, mit denen er verkehre, im Auge zu halten, und womöglich sogar der politischen Abteilung der Kriminalpolizei einen Wink zu geben. Sterneck, mit jedem Satz sicherer werdend, hoffte, gerade im Beisein des Konservativen Mehnert und vor dem mächtigen Grafen Metzsch, weil er wusste, wie neuralgisch jede Regung der Sozialdemokraten beobachtet wurde, auf eine deutliche Anerkennung.
Der Gesamtminister hatte aufmerksam zugehört. Wacker, mein Lieber, sehr wacker, rief er aus. Wir werden das beachten, Ihren Vorschlag in Erwägung ziehen. Bisher ist ja dieser Maler, ein russischstämmiger Sonderling, nicht besonders aufgefallen, außer durch bestimmte sittliche Abartigkeiten. Aber, Sie haben recht, lieber junger Kollege, man muss wachsam sein. „Auf zum Kampf!“ heißt das Bild? Nun, das stimmt, ein gefährlicher Titel. Und eine rote Fahne ist darauf abgebildet? Der mächtige Minister rief seinen Sekretär. Prüfen Sie mal, mein lieber Gutenstein, ob man das Bild nicht umhängen kann, ein wenig ins Hintere, ins Unbeachtete damit, oder am besten ganz raus aus der Schau. Irgendein Vorwand werde sich finden. Eine Beschädigung, ein Rahmenbruch, irgendetwas. Wie lange dauere die Ausstellung noch an? Was, bis zum Ende des Jahres?
Also Gutenstein, Sie haben verstanden?
Der Sekretär verneigte sich und glitt wieder in seine Ausgangsposition neben der Tür.
Der Gesamtminister wandte sich dem jungen eifrigen Kollegen zu. Mit einer Bewegung seiner großen, sehr weißen Hand winkte er ihm. Wir bedanken uns, mein lieber Sterneck, das war sehr aufmerksam. Wir werden uns Ihrer erinnern, verlassen Sie sich darauf. Und nun, bitte, wäre es uns angenehm, wenn Sie uns allein ließen, bitte …
Sterneck, betäubt, verwirrt erhob sich. Lob und Hinauswurf in einem Satz, er wusste nicht, ob er glücklich oder zerknirscht sein sollte. Aber er gehorchte, verneigte sich vor dem Grafen Metzsch, vor den anderen Herren und ging zurück ins Hauptlokal.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, gab der mächtige Mann seinem Sekretär Gutenstein mit seiner sehr weißen Hand ein Zeichen, welches zu besagen schien, ein allzu eifriger Mann sei dieser junge Beamte Sterneck, er neige zu gefährlicher Insubordination, man möge ihn etwas abhalten.
Es ging unter den drei verbliebenen Herren dann doch nicht um das Ergebnis und die Bewertung der Wahlen, sondern um die Sondierung einer Personalfrage. Sie war der eigentliche Grund, warum sich der Gesamtminister Graf Metzsch hierher ins Café Seidelmann verfügt hatte, zu ungewöhnlicher Zeit, an einem Sonntagvormittag, wo er doch lieber mit seiner Frau und dem Enkel, dem kleinen Hubertus, hinaus in die Lößnitz gefahren wäre. Bei einem der Winzer hätte er sitzen wollen und den neuen Jahrgang probieren.
Die Personalfrage aber schien ihm wichtig, im kleinen Kreis wollte er Meinungen ertasten. Mehnert und von Rüger waren die Richtigen, sie waren ihm ergeben. Man hatte vor Kurzem, wie in anderen deutschen Ländern auch, eine Altersgrenze festgesetzt. Wenn Staatsbeamte das sechsundsechzigste Lebensjahr erreicht hatten, so wurden sie pensioniert. Nur in wenigen Ausnahmefällen konnte die Regierung schwer zu ersetzende Beamte in ihren Stellungen belassen. Diese Ausnahmebestimmung wollte der Gesamtminister anwenden auf den Kunsthistoriker der Leipziger Gewerbeschule, Professor Gotthilf Schlögel, der die Altersgrenze längst überschritten hatte, und ein bisschen dachte er dabei auch an seinen Freund von Rüger, schließlich war der ebenfalls an dieser Altersgrenze angekommen. Vielleicht, so überlegte er, wenn ein Präzedenzfall geschaffen sei, falle es leichter, auch in anderen Fällen ähnlich zu entscheiden, und er wollte sich nicht der Möglichkeit aussetzen, wegen solch einer Kleinigkeit die von ihm insgeheim ausgedachte
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