Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
die lieben Menschen würden ihm eine Freude machen wollen, und sie hätten den Maler eingeschworen, nichts zu verraten, damit die Überraschung auch eine Überraschung bliebe, und sicher wüsste man gar nichts von Schneiders Besuch in Radebeul, ja, so könne, so müsse es sein, und dass der Maler am Nachmittag zu ihm in die Villa Shatterhand käme, um dann am Abend gleich weiter zu Kreis zu fahren, dies sei von ihm sehr praktisch gedacht, immerhin, von Meißen einmal aufgebrochen, sei das effektiv die Zeit genutzt, modern, wirklich modern. May lächelt, nickt, zieht die Frau zu sich heran. Du bist ein schlauer Schatz.
Er verbringt den Tag mit Arbeit und einem Spaziergang am Nachmittag, geht früh zu Bett.
Wie er dann am nächsten Tag, nachmittags, die Standuhr hat soeben drei Uhr geschlagen, die Klingel an der Gartenpforte schellen hört, schnellt er hinter seinem Schreibtisch hoch.
Das wird er sein, der Maler!
Er hört, wie das Mädchen die Pforte öffnet, ihn einlässt. Die Haustür wird geöffnet und wieder geschlossen. Klara in der Diele geht ihm entgegen.
Oben in seinem Arbeitszimmer mit zwei, drei Schritten zwischen Schreibtisch und Standuhr hastig hin und her gehend, überlegt May, ob er seinem Gast von der Einladung nach Blasewitz sprechen, ob er ihn fragen soll nach seiner Vermutung, ob etwa er, Schneider, der geheimnisvolle Ehrengast bei dem Architekten Kreis sei. Doch May beschließt, die Frage auszusparen, lieber zu warten, zu tun, als wüsste er nicht. Eine List wie Odysseus, wie sein Held Old Shatterhand, anzuwenden – das kitzelt ihn. Sollen sie doch ihre Überraschung haben, die lieben Freunde, er wird ihnen den Spaß machen und er freut sich seinerseits schon auf ihre Gesichter, wenn er ihnen dann sagen wird, dass er alles längst gewusst habe …
Es klopft, Klara kommt herein, lässt die Tür angelehnt. Der Gast, Herr Schneider aus Meißen, wäre da. Kommst du nach unten, ob ihr im Salon …?
Ja, hervorragend, im Salon. Ich komme sofort, will mich nur ein wenig salonfähig machen, die Haare, das Bärtchen, in zwei Minuten. Einen Tee solltest du bereiten, der Sascha Schneider ist ein Teetrinker …
Als er dann in den Salon tritt, dreht ihm der Maler Schneider den Rücken zu. Er hat mit verschränkten Armen am Fenster gestanden, hört den Eintretenden, wendet sich mit einem Ruck um, kommt May strahlend entgegen. Es ist ein kleiner gedrungener Mann von etwas über dreißig, der da vor dem Weltberühmten steht. So im Anzug sieht er ganz anders aus, wundert sich May. Im Malerkittel wirkte er älter, gesetzter, jetzt in seinem graubraunen Tweedjackett mit dem Gürtel und den Kniehosen hat er etwas von einem Gymnasiasten, einem frühreifen Primaner, dazu die kleine runde Nickelbrille, deren Gläser funkeln und blitzen – eine seltsame Erscheinung, jungenhaft und ernst, entschlossen und zurückhaltend in einem. May lächelt, beschaut seinen Gast aus seinen warmen blauen Augen.
Man gibt sich die Hände, tauscht Komplimente aus. Der Tee werde gleich kommen, sagt May, allerdings werde er mit dem seinen aus Russland nicht konkurrieren können, er sei nur friesischer.
Setzen wir uns.
Man setzt sich in die kleine seidenbespannte Sesselgruppe, links neben dem großen Fenster, May zieht das Rauchertischchen heran, klappt sein goldenes Etui auf.
Mögen Sie? Sie sind von den Indios in den Anden gedreht. Keiner versteht die Zigarren so zu drehen wie die Nachfahren der Inkas. Ich habe sie einer alten Indiofrau in La Paz abgekauft.
Oh, gern! Danke! Schneider nimmt sich eine Zigarre. Er betrachtet sie, wendet sie zwischen den Fingern hin und her. Sie ist glatt und fest und verströmt einen herben charakteristischen Duft. Die Spitzen werden gekappt, eine blaugelbe kleine Feuerzunge aus einem modernen Benzinfeuerzeug flammt auf.
Indianischer Tabak aus Südamerika. Eine Friedenspfeife? scherzt der Maler, er wirkt ein wenig gehemmt, schüchtern.
Wieso Friedenspfeife? lacht May. Waren wir im Kriege?
Beide lachen, kurz, verschämt. Ah, da kommt der Tee. Das Mädchen bringt das Tablett, hinter ihr tritt Klara in den Salon, sie hat sich zurechtgemacht, ein neues, dunkelgrünes Seidenkleid mit schwarzer Spitze angelegt. Sie weiß, sie ähnelt Clara Schumann, besonders, wenn sie ihr dunkles Haar aufgesteckt hat, und der hellen Augen wegen. Ein kleines Künstlerporträt der Pianistin steht im schwarzen Papprahmen auf dem Vertiko.
Setz dich doch zu uns, fordert May seine Frau auf.
Ja, gnädige Frau, bittet auch
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