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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Schließlich fand er sie im Kleiderschrank, unten im Hemdenregal, links, ordentlich aufgereiht, neben den anderen Knöpfen und den Schlipsnadeln.
    Wir werden noch zu spät kommen, murmelt Karl May und verstaut die Taschenuhr in der Westentasche. Ach, komm Karl, sagt Klara, und legt ihre Hand in die seine, bringe dich nicht in solche Stimmung, das schadet dir, du weißt. Denke daran, heute ist ein besonderer Abend. Man erwartet viel von dir.
    Ich weiß, ich weiß, seufzt May, und eben darum bin ich so gereizt.
    Plötzlich stutzt er. Wo der auch langfährt? Kein Wunder, dass es so lange dauert. Macht große Umwege, will wohl mehr Geld?
    Er fragt den Kutscher. Der, besserwisserisch, im großen Ton, gibt zurück: Klare Sache.
Is wächen die Bauarbeiten
, Herr Doktor!
    May lässt sich in die Polster zurückfallen. Winkt ab. Was soll er sich aufregen, auch wegen dieses albernen Doktortitels. Es ist sowieso egal. Wer weiß, wo der Kutscher das gelesen hat … Er tastet nach Klaras Hand, drückt sie fest.
    Die Kutsche ist von der Wasserstraße und dem Kurfürstenplatz kommend über die Albert-Brücke gerollt, dann nach links am Sachsenplatz gleich neben dem Kolonial-Krieger-Denkmal auf die Feldherrenstraße eingebogen und fährt jetzt parallel zur Elbe geradewegs auf die Scharnhorst-Straße zu. Klara sagt: Wahrscheinlich will er dort vorn auf das neugebaute Stück vom Hochufer. Da ist’s dann nicht mehr weit bis zur neuen König-Albert-Brücke, diesem Stahlungetüm. Ach Karl, ich mag diese Brücke nicht. Immer hat man Angst, ob die auch hält …
    Karl May lacht, beugt sich zu seiner Frau, küsst sie, ach mein Herzle, was ihr Frauen doch immer denkt. Diese Brücke ist das Modernste, was es in Europa gibt, die wird noch in hundert Jahren genauso stehen, schön blaugrün und stählern … wenn sie nicht weggerostet ist, ha, ha, ha.
    Danach. Es vergehen kaum zwanzig Minuten. Man ist angekommen. Die Schillerstraße hinauf ist tatsächlich für die Pferde eine Tortur gewesen. Sie dampfen und schnauben. Die letzten Meter ist der Kutscher abgestiegen und, seine Tiere antreibend, die Peitsche schwingend, neben seiner Fuhre hergegangen. Aber May zahlt ihm ein gutes Handgeld, der Kutscher neigt den Kopf, brummt
„rescht vieln Dank ooch!“,
das
„Herr Doktor!“
verkneift er sich.
    Klara klopft mit ihrer weißen Gazehandschuhhand im Vorbeigehen einem der Tiere auf den Hals. Brav, Gut gemacht! Das Ehepaar kraxelt die von großen Pflanzkübeln gesäumte und über den halben, sehr steilen Hang führende Freitreppe hinauf, dann die letzten Meter auf groben, nicht ganz trockenen Pflastersteinen bis vor das prachtvolle Portal der Villa, welches von zierlichen Sandsteinapplikationen geschmückt mit 13 breiten und sehr flachen, schon ein wenig ausgetretenen Sandsteinstufen nach oben zur wuchtigen, übermannshohen, reich geschnitzten Eichentür führt.
    Karl, atemlos, und trotz seines Stöckchens gestützt auf seine junge Frau, drückt den schwarzen Klingelknopf unterhalb des Messingschildes „Wilhelm Heinrich Kreis – Professor für Architektur und Raumkunst“. Es dauert ein paar Sekunden, dann ertönt ein Summer. Die große Tür öffnet sich wie von Geisterhand. Wirklich modern, der Kreis, murmelt May, das Neueste vom Neuen, man merkt gleich, hier lebt ein Mann der Zeit.
    Die Mays standen klein, ein wenig schüchtern wie Bittsteller aus einer anderen Zeit unten an der Sandsteintreppe, oben in der offenen Haustür erschien der Hausherr, angetan in einem blauschillernden, bis zu den Fußspitzen reichenden Hausmantel, wirkungsvoll angestrahlt von einer blassgelben Leuchte hoch über seinem Kopf. Er stand wie ein orientalischer Herrscher vor seinen Gästen, verneigte sich tief mit über der Brust gekreuzten Armen, lächelte, sagte dann, nachdem er seinen Besuchern ein paar Stufen entgegengegangen war, sehr laut und nicht ohne Stolz, ganz im Tone eines eitlen Schlossbesitzers:
    Lieber verehrter Karl May, hochverehrte Frau Klara, schauen Sie sich noch ein wenig um, bevor sie eintreten. Diese Villa, sprach Kreis weiter und breitete die Arme aus, als bezeichne er ein eigenes Reich, diese Villa sei erst vor fünfzig Jahren, nämlich 1851/52 von seinem Kollegen, dem Landesbaumeister Theodor Lehnert, für Joseph Herrmann errichtet worden, der sie dann bald nach seinem alten Lehrmeister, dem dänischen Bildhauer Bertel Thorwaldsen, benennen ließ. Seither hieße sie nur „Die Thorwaldsen-Villa“.
    Zuvor habe sich an dieser Stelle der Weinberg

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