Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
zuvor wolle er seinen Gästen, wenn sie sich miteinander bekannt gemacht hätten, noch einen anderen Augenschmaus bieten …
Da trat von der Seite ein derber, spaßiger Mann heran.
Kumpfmüller! Herrmann August Kumpfmüller – Schauspieler am königlich-sächsischen Theater! dröhnte er mit kumpelhafter Selbstverständlichkeit.
Ah, unser lieber Herr Hofnarr! lachte Kreis, ansonsten aber durch seinen Mephistopheles und den Lear bekannt. May nickte, als ob er sich besinnen könnte.
Der Schauspieler, mit plumper Kavaliersgeste, ließ sich nicht beirren, fuhr fort:
Er hoffe, dem werten Gastgeber nicht zu nahe zu treten, wenn er sage, dass eine lebende Tänzerin, noch dazu eine russische, ihm und womöglich den anderen Gästen auch tausend Mal lieber sei als irgendein Augenschmaus, womöglich ein Gemälde von einem noch nicht toten Maler. Denn man wisse ja, nur ein toter Maler ist auch ein bedeutender Maler …
Er hat das sehr laut gesagt und es ist eine Provokation.
Denn etwas abseits von ihnen sitzt der Maler Hans Unger, mit finsterem Gesicht, hockt auf einem zu tiefen Ledersofa, sieht aus wie ein Bauer im Smoking.
Man sieht ihm an, er fühlt sich nicht wohl hier. Er ist nur auf die Bitte eines Freundes gekommen. Und ausgerechnet dieser Freund, der Maler Sascha Schneider, fehlt. Was soll er hier? Da ist er extra von einer Arbeit weggerannt, einer Vorstudie zu einem lange geplanten Gemälde, seinem Salomé-Entwurf, und nun sitzt er hier unter Leuten, die er nicht kennt. Hat sich in einen Abendanzug gezwängt, auf seinen geliebten Strohhut verzichtet. Kahlköpfig fühlt er sich wie nackt, als fehle ein Teil von ihm. Dieser Schriftsteller, um den sie sich alle scharen, Karl May, ist ihm zuwider – ein kleiner wichtigtuerischer Mann mit keckem Bärtchen und einer aufgedonnerten Frau an seiner Seite. Und wie der spricht, so aufgesetzt kryptisch, und dann in ordinärstem Sächsisch.
Wenn der Sascha nicht gesagt hätte, komm nur, Hans, du wirst eine Überraschung erleben, er wäre unter keinen Umständen gekommen. Und nun ist Sascha nicht da!
Der Maler Unger zieht die Stirn in Falten, greift in die Taschen seines zu engen Smoking, holt eine alte, abgenutzte Pfeife hervor, stopft sie aus einem kleinen roten Lederbeutelchen, fängt zu paffen an.
Doch kaum hat er die ersten Züge geraucht, muss er aufstehen, der Gastgeber und die Mays stehen vor ihm. Hier haben Sie unseren Maler Unger, lieber May, sagt Kreis in seiner fröhlichen Art, er ist keineswegs tot, und doch schon berühmt, ein Widerspruch für unseren Hofnarren Kumpfmüller, und er wohnt gleich in der Nachbarschaft, in der Kügelgenstraße. Seine „Muse“ kennt man in Deutschland, auch wenn sie erst fünf Jahre alt ist …
Man verneigt sich, gibt sich die Hand. Die Kälte ist spürbar, man mag sich nicht.
Etwas unmotiviert wendet sich Kreis ab, geht mit drei, vier Schritten in die Mitte des Raumes. Es ist plötzlich Stille in dem prachtvollen persischen Salon der Villa Thorwaldsen. Nur das Plätschern der Springbrunnen ist zu hören und es vermittelt ganz unmittelbar ein Geräusch, das in der Natur für die Zeitlosigkeit, die Ewigkeit und Unsterblichkeit steht – plätscherndes, quirlendes, fließendes Wasser.
Der Architekt Kreis, in das Schweigen hinein, sagte, jetzt wolle er seine Überraschung, den Augenschmaus, vorweisen. Mit langen, bedeutenden Schritten, sehr aufrecht, gereckt führte er die erwartungsvolle Gesellschaft in einen durch eine schmale Wandkacheltür verborgenen Nebenraum, sein Bilderkabinett, wie er beim Eintreten für jeden vernehmlich ausrief.
Es zeigte sich, dass zwischen wenigen anderen Bildern, in welchen erstaunt murmelnd jeder sofort neben einigen unbekannten auch Werke gegenwärtiger Dresdner Maler wie Unger, Müller, sowie ein kleineres Aquarell, einen Knabenakt nämlich, von Max Klinger erkannte, auf einem von einer roten Samtdecke wirkungsvoll hervorgehobenen Podest übergroß das Ausstellungsgemälde Schneiders „Auf zum Kampf“ stand. Die Eingetretenen erstarrten. Wie kam das Bild hierher? Man hatte es doch vor Tagen noch in der Kunstausstellung gesehen? War es etwa eine Kopie? Oder hatte es Kreis, dieser Schlawiner, extra herbringen lassen, um seinen Gästen ein Gaudi zu bieten?
Ein Ausruf der Überraschung erklang, als plötzlich hinter dem Bild wie aus dem Nichts der Maler Schneider selber erschien. Einem Zauberkünstler gleich, der einer zuvor leeren Kiste entstiegen ist, breitete er die Arme aus und rief die
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