Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
mein Lieber, bald werde ich Ihnen die rechte Antwort geben. Sehr bald! Haben Sie nur Vertrauen.
Schneider, in weicher Stimmung, beinahe hätte er seinem Gastgeber alles verraten, das Geheimnis des Wilhelm Kreis und warum er es mitspielt, doch er presst die Lippen zusammen, nickt, sagt nur, o ja, er habe das größte Vertrauen in ihn, den großen Autor May, und er sei schon fast ein Idol für ihn. Er wisse, sie würden noch ein weites Stück eines gemeinsamen Weges gehen. Da sei er sicher.
Man verabschiedet sich. May bringt seinen Gast zur Gartenpforte, die beiden Hunde umspringen die Füße der Männer. Ein Händedruck. Ein Lächeln.
Auf bald! sagt Schneider. Auf sehr bald! sagt May.
Es ist Abend, Viertel nach Sieben. Eine schwarze Mietdroschke wartet vor der Villa Kirchstraße Nr. 5. Das Lederverdeck glänzt im Schein der Straßenlaterne, die sich unweit der Pforte der Villa befindet. Die beiden Pferde schnauben, eines peitscht mit dem Schwanz, das andere scharrt mit dem Eisen des rechten Vorderhufes auf dem Pflaster. Es will noch Hafer oder einen Eimer Wasser oder wer weiß was. Der Kutscher, die lange Peitsche in der linken weißbehandschuhten Hand, schaut sich nach dem Gaul um: Bleib doch ruhig Else! brummt er, es geht gleich los. Er tritt ungeduldig von einem Bein aufs andere. Fünfzehn Minuten wartet er jetzt schon. Sieben Uhr war verabredet. Punkt Sieben Uhr, jawohl, sagten die am Telefon, als die Bestellung für die Fahrt in der Zentrale in der Königstraße ankam.
Und jetzt muss er warten! Ach, diese Herrschaften! Was denken die sich eigentlich?
Das Pferd schlägt weiter mit dem Eisen aufs Pflaster. Es schallt die einsame Straße hinab. Der Kutscher geht zu dem Tier hin, streichelt es auf der Nase. Reg dich nicht auf, meine Gute, die Herrschaften werden gleich kommen. Klare Sache! Nur keine Unruhe. Wir müssen ja froh sein, dass man uns überhaupt noch will und nicht eine von den neumodischen Stinkkutschen. Jetzt fährt schon mehr als eine Handvoll davon als Droschke umher und schnappt uns die Kunden weg. Und ein Gestank ist das, man wird krank, bekommt Husten. Willst doch auch deinen Hafer, Else, also sei stille, und wieder tätschelt er das Tier, das jetzt auf der Trense herumkaut. Du verstehst schon, meine Gute, wir müssen dankbar sein, dass es noch Leute gibt, die eine Pferdedroschke mieten. Hier hast du! und er schiebt dem unruhigen Pferd ein Stück Zucker ins Maul. Was du nur hast, du bleibst doch meine gute Else. Das Pferd schüttelt die Mähne, schnaubt, aber es hat mit dem Scharren aufgehört.
Nun gibt der Kutscher auch dem anderen Tier ein Zuckerstück. Kriegst auch was, Petro! und er patscht mit seiner breiten Kutscherhand auf den Pferdehals, geht langsam zur Gartenpforte der Villa zurück.
Karl May!? liest er auf dem Messingschild. Ach der? Etwa der Schriftsteller? Hab doch erst vorgestern etwas in der Zeitung gelesen. Was war’s denn nur? Worum ging’s denn gleich? Aber ihm fällt es nicht ein. Er weiß nichts mehr. Es steht ja so viel in den Zeitungen heutzutage, und wenn man in den Wartepausen mal was liest, dann merkt man es sich nicht. Man ist ja dauernd auf der Lauer, ob denn nicht bald der nächste Fahrgast kommt. Klare Sache.
Aber, besinnt er sich weiter, es muss was Ärgerliches gewesen sein, was da über diesen Karl May dringestanden hat, denn der Alwin, der Kutscher vom Nachbarstand, der dieselbe Zeitung gelesen hat, der hat beim Lesen mordsmörderisch geflucht. Diese Zeitungsfritzen! hat er geschrien und mit der Peitsche gefuchtelt. Wir lassen uns doch unseren May nicht madig machen.
Was war es denn bloß? grübelt der Kutscher vor der Villa. Na egal, sagt er sich schließlich, da werd ich das Maul halten, solche Berühmtheiten haben eben ihre Marotten. Klare Sache.
Das Licht an der Haustür wird eingeschaltet. Die Herrschaften kommen heraus. Ein höchstens mittelgroßer Herr im Mantel, mit Pelzkragen, den breitkrempigen Hut in der Hand. Das also ist Karl May, der berühmte Schriftsteller und Westernheld? sagt sich der Kutscher und deutet eine Verbeugung an. Sieht ja ganz normal aus, der Mann, beinahe wie ein pensionierter Schullehrer. Um die Sechzig. Klare Sache. Was der für weiße Haare hat, fast silberweiß. Nur die Beine sind etwas kurz geraten, und ziemlich krumm. Na ja, wenn er ein halbes Leben im Sattel gesessen hat. Ob der erkennt, was meine Gäule wert sind? Die Dame in einem Überwurf aus teurem Stoff, ein Hütchen mit schwarzen Federn, dunkles Haar,
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