Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
überrasche …
Schneider aber, der auf einmal Herzklopfen spürt, lässt sich nicht beirren. Er hat schweißige Hände bekommen, aber er wird May nichts verraten von dem Plan des Wilhelm Kreis. Tapfer hält er durch, sagt in beiläufigem Ton, ach, wissen Sie, nichts Intensives, die Zusammenarbeit richte sich auf die Bismarck-Säulen, von denen der Architekt allein 47 Stück in der nächsten Zeit realisieren werde, auch ein Kriegerdenkmal sei im Plan, weitere Grabmähler, ein paar davon mit Selmar Werner …
May hat seinen neuen Freund scharf ins Auge gefasst. Mit meinem lieben Selmar also, lacht er. Ja, wie in einer großen Familie, wir alle treffen immer wieder aufeinander, wir, die Künstler, sei es nun bei der Arbeit, bei den verschiedensten künstlerischen Vorhaben oder an manchen Abenden in trauter Runde. Das sei gar nicht zu vermeiden. Eher im Gegenteil, das sei sehr angenehm … man trifft aufeinander, so oder so, und nichts bleibt verborgen …
May bricht ab, gibt Klara einen Wink. Trinken wir noch einen Kleinen. Er habe da aus seiner näheren Heimat, aus Annaberg, einen klaren trockenen Bergmannsschnaps … und er schnalzt mit der Zunge. Ein Wässerchen, sag ich Ihnen.
Schneider, dankbar für die Ablenkung, strahlt. Oh ja, das wäre jetzt das Richtige, sagt er erleichtert, wischt sich mit einem Taschentuch die Hände.
May, während seine Frau die Flasche und die Gläser holt, ist mit sich unzufrieden. Er sitzt verlegen, öffnet das Zigarrenetui, klappt es wieder zu. Kratzt sich das Kinnbärtchen, blickt verstohlen zu seinem Gegenüber. Er hätte den jungen Maler nicht so erschrecken sollen, die ganze schöne Atmosphäre der entdeckten künstlerischen Gemeinsamkeiten, der Friede, die Harmonie scheinen verflogen. Das ist schade. Dass es ihn aber auch wieder gekitzelt habe, den Schlauen, den Mehrwissenden, zu spielen, sich zu verstellen, in eine Rolle zu schlüpfen, sein Gegenüber zu belauern, ach, er könne es nicht lassen, wieder einmal lasse der Polizeileutnant von Wolframsdorf grüßen, es sei wie eine Spielsucht. Der junge Schneider tue ihm leid. Der arme Junge.
May seufzt tief, sodass sein Gast erschrocken herüberblickt. Beide schweigen.
Doch auf einmal fällt dem Älteren ein, wie er dem Maler helfen kann. Wie ein Blitz überfällt ihn der Gedanke. Hier unten im Salon braucht er eine Art Wandbild, das die Besucher und ihn selbst auf die Bestimmung seines Schreibens hinweist, eine symbolische Darstellung, wie er sie im „Silberlöwen“ noch beschreiben wird. Jeder soll sehen, der hier lebt und arbeitet ist kein armseliger Abenteuerschriftsteller, sondern ein Arbeiter des Geistes, einer, der mit sich und seinen Stoffen ringt, der mit sich und der Welt allen Widrigkeiten zum Trotz kämpft, der das Tor zu einem neuen Geist seines Schreibens, dem Mysthischen, aufgestoßen hat.
Ja, für ein solches Bild werde er den Maler Schneider beauftragen. Und er werde ihm eine Vorauszahlung leisten, beschließt May, während er vor sich hinstarrt, er werde ihm so viel Geld geben, dass der Junge, von allen Alltagssorgen befreit, arbeiten könne. Und er wird die heutige Abendgesellschaft bei seinem Freunde Wilhelm Kreis für die Auftragserteilung nutzen. Das wird
seine
Überraschung sein. Da werden die lieben Freunde staunen. Sie wollten ihn überraschen,
ihn
, den cleveren
Charley
, doch nun werde er es umgekehrt machen und ihnen zeigen, wer die wahre Größe besitze. Genauso, sagt er sich, wie er es viele Male in seinen Romanen beschrieben hat – Shatterhand habe am Ende immer alle in Staunen versetzt, nicht allein durch die Faust, nein durch seine Pfiffigkeit, seine Überraschungseffekte und die Tüchtigkeit.
May lacht in sich hinein. Er boxt vor Vergnügen mit der linken Faust in die rechte hohle Hand, stößt einen Jauchzer aus. Doch da in diesem Moment Klara mit dem Tablett, darauf die Karaffe und die Gläser, zur Tür hereinkommt, denken alle, der Gastgeber freue sich auf seinen eigenen Schnaps. Und prompt sagt der Maler: Donnerwetter! So gut ist dieses Wässerchen. Da bin ich aber gespannt.
Man stößt an, man trinkt. Auch Klara May trinkt mit, wenn auch vorsichtig nippend. Ahh, ohhh, das brennt die Kehle hinab. Ja, die Kumpels wussten schon: Was der Kehle gut tut, tut der Seele gut! Man ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Der Oktobertag geht zu Ende, es ist schon später Nachmittag. Kurz vor einhalb sechs Uhr.
May, den Arm um die Schulter des jungen Malers, flüstert: Warten Sie nur ab,
Weitere Kostenlose Bücher