Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Warum nur? Gut, bei ihnen, den Mays, wäre es vielleicht der Altersunterschied, und mit vierzig wäre sie, Klara, jetzt sowieso zu alt, und eigentlich, wenn sie ehrlich ist, ist es ihr ganz recht so: Kinder sind nicht ihre Sache – wie viel Wichtiges bliebe da auf der Strecke, Karl käme nicht zum Arbeiten, schon wenn die Neffen aus dem Gebirge zu Besuch sind, ist es jedes Mal so ein Trubel, nichts läge mehr am gleichen Platz, für Tage würde er aus dem Arbeitsrhythmus geworfen und auch sie, Klara, käme zu nichts, außerdem – Karl ist ohnehin nicht
der
feurige Liebhaber, manchmal könnte man denken, die Frauen machten ihm Angst, er fürchte sich vor ihnen, er könne nichts mit ihnen anfangen, er sei da mehr der Theoretiker, sagt er, seine Erotik finde im Kopf statt, so wie alles bei ihm nur im Kopf, hinter seiner Stirn, abliefe, eine ganze Welt habe hinter dieser Stirn Platz, hat er einmal gesagt, im Praktischen sei er nicht so … in der Liebe nicht wie im Leben nicht – freilich, mit dem Hauspersonal tut er manchmal schön und sie, Klara, ärgert sich darüber, doch eigentlich ist das nicht ernst zu nehmen, zehn Mädchen haben sie in den letzten sieben Jahren gehabt, fünf davon seit dem vorletzten Jahr, vielleicht sollte sie nicht so streng sein, die dummen Dinger können ja nichts dafür, sie nehmen eine Freundlichkeit und einen Klaps auf den Hintern gleich für eine Anmache, aber sonst, nein, Karl ist kein Liebhaber, im Gegenteil, richtig ungeschickt benimmt er sich in diesen Dingen, Licht aus beim Ausziehen, beim Waschen keine Störung, wenn er beim Spazieren im Wald mal austreten muss, läuft er eine Riesenstrecke, bis man ihn nicht mehr sehen kann. Warum schämt er sich nur so? Keine körperliche Zärtlichkeit behagt ihm, er weicht aus, flüchtet sich in Ausreden; gut, gleich am Anfang, als sie zu Karl gezogen ist, nach Richards Tod vor drei Jahren, da hat ihre Blutung zweimal ausgesetzt und sie dachte damals schon, sie würden ein Kind kriegen, doch dann war es falscher Alarm gewesen. Karl hat sogar leuchtende Augen bekommen, als sie ihm von der Möglichkeit sprach, und er hat eine lange Liste mit Namen aufgesetzt, Jungennamen, Mädchennamen, Indianernamen, Beduinennamen, Namen von den Balkanvölkern, aus Persien, aus China, dann aber, als es sich nicht bestätigt hat, ist er keineswegs traurig gewesen, hat die Listen verbrannt. Es wird am Alter liegen, hat er gesagt, wir hätten uns vor zwanzig Jahren begegnen sollen, sei nicht traurig, Herzle, wir werden auch ohne Kinder glücklich, glaub mir – und sie sind ja glücklich geworden – aber die Kreisens sind doch noch so jung, beide Anfang bis Mitte dreißig. Und bekommen trotzdem keine Kinder? Seltsam. Warum es bei denen wohl nicht klappt?
Egal, sie wird die Hedwig zu sich nach Radebeul einladen, bald schon, vielleicht noch vor Weihnachten, dann werden sie einen Stadtbummel machen, sie wird mit ihr in die Museen gehen, in die Oper oder in ein Theaterstück, spazieren gehen an der Elbe werden sie oder im Waldpark oder im Zoologischen Garten, Hand in Hand. Sie werden Kaffee trinken, ein Stück Eierschecke essen oder Kirschsahne, sich vielleicht ein Likörchen genehmigen. Ja, eine wirkliche herzige Freundin werde sie in der Kreis’schen Gattin haben, sagte sich die Dame Klara am Abteilfenster des Durchgangszuges Dresden–München, eine echte Freundin, die ein Gewinn für sie wäre, eine Herzensfreundin, wo sie auch etwas davon habe, nicht so eine wie die, zu der sie jetzt fahren müsse, diese … diese … sie ballte ihre kleinen, festen Fäuste in den modischen Lederhandschuhen, die sie noch nicht ausgezogen hat, obwohl die Wärme im Abteil inzwischen deutlich fühlbar ist, … dieses dumme Weib, diese Verrückte, mit der es nur Schwierigkeiten gebe, ach warum muss sie immer wieder an diese Person denken, warum nur? … sie bricht den Gedanken an die andere ab, nein, sie will jetzt nicht, sie wird in den nächsten Tagen noch genügend mit ihr zu tun bekommen … und unter Aufbietung all ihrer Konzentration zwingt sich die Dame Klara zurück in die Villa Thorwaldsen, wo vor vierzehn Tagen der wunderschöne Abend stattfand: Oh, sie hat sie alle beobachtet, die Gäste des Architekten Kreis, während Karl so herzergreifend und tiefsinnig gesprochen, während er so wunderbare Gedanken entwickelt hat, und sie hat gesehen, wie sie alle an seinen Lippen hingen, manche mit feuchten Augen, besonders der junge Schneider, dieser liebe Junge. Wie zu einem Gott
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