Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
dünner, demütiger Körper glitt ziemlich kunstlos über die kleine Tanzfläche, ihre schrägen, feuchten Augen streichelten hilflos, frech, zutraulich die Zuschauer. Es war still im Persischen Salon des Architekten Kreis. Die dünne Musik jammerte durch den Raum. Die Gäste saßen aufrecht, aufmerksam, mancher rauchend. Der Maler Unger hatte die Pfeife stopfen wollen, unterließ es. Kumpfmüller war wieder zu seinem Springbrunnen gegangen, hatte sich auf den Rand gesetzt, saß abseits, ein geschlagener Held. Die Mays saßen beisammen, sich an den Händen haltend, dahinter Schneider mit brennenden Augen, noch aufgewühlt von allem, was er eben erlebt hatte.
Die Andrejewna tanzte mit nackten Füßen, in einem silbernen Gazehemdchen, zusammengehalten von einer schwarzen Kordel, auf dem Kopf, in ihrem starken rötlichen Haar, einen grünsilbernen Kranz. Sie tanzte eine kleine Pantomime, schamlos, anrührend, und wie es der Gastgeberin Hedwig Kreis schien, auch ziemlich banal, etwas dümmlich.
Sie tanzte zuerst wie in tiefer Innerlichkeit vor sich hin, dann plötzlich in einer abrupten Wendung schoss sie auf eine bestimmte Stelle im Publikum zu. Es war dunkel im Halbkreis der Sitzenden, die Fackeln beleuchteten nur die Tanzende. Wer war der Auserwählte, dem sie sich zuwandte? Man reckte die Hälse, kniff die Augen zusammen, um nur ja ganz genau zu sehen. Es war ihr Erwählter aber der Graf Hardenberg. Es gab keinen Zweifel, für ihn tanzte das kleine aufreizende Geschöpf, auf ihn richtete sie ihre schrägen, schimmernden Augen, für ihn streckte sie die Arme aus, krallte ihre Finger in die Luft, für ihn bog sie ihren Leib. Eine kleine Unruhe entstand, obwohl gerade diese Hinwendung der Tänzerin keinen überraschen konnte, der Graf aber saß mit einem kleinen überlegenen, wissenden Lächeln, rührte sich nicht, nippte an seinem Sektglas. Die Zarte, Schmächtige wurde erfasst von einer immer stärker werdenden Demut und Hinwendung, ihre Augen brannten, die Wangen verfielen, wurden in kindlicher Bitte hohl und saugend, das Gazehemdchen gab die Schultern frei, rutschte wie unbeabsichtigt nach unten. Nackt und unzüchtig tanzte die Andrejewna jetzt vor dem unbewegten, lächelnden Grafen. Schließlich schlug sie erschöpft auf den großen persischen Teppich, blieb, einem ausgelaugtem Bündel gleich, liegen, atmete schwer, mit nasser, glänzender Haut. Kleine leise Ausrufe des Erschreckens von den Frauen, schweres Schnaufen von manchen Männern waren zu hören … Die Musik bricht ab. Eine erwartungsvolle Stille hängt drohend im Raum. Was kommt hier noch? Braucht man einen Arzt? Doch dann, nach wenigen Augenblicken erhebt sich die Tänzerin, lächelt, streift ihr Hemdchen über, bedankt sich mit einem Nicken, verschwindet im Dunkel des hinteren Raumes.
Ein Schweigen ist zuerst unter den Gästen des Architekten Kreis, dann ein paar leise Unmutslaute, man kann nicht ausmachen, von wem sie stammen, schließlich lauter Beifall, Klatschen, Bravo-Rufe. Eine gewagte Aufführung! meint der Staatsschauspieler Kumpfmüller und schnauft den zurückgehaltenen Atem aus. Graf Hardenberg, überlegen, lässig, neigt den Kopf nach mehreren Seiten. Er fühlt sich wie der Impresario, er hat die Dame präsentiert, er weiß, sie hat heute nur einen Abklatsch geboten, vor exklusivem, zahlendem Publikum bringt sie die Pulse zum Rasen, zeigt sie mehr, geht sie bis an die Grenze des Sittlichen.
Der Gastgeber überblickt das Ganze, er ist zufrieden. Das war eine gute Überraschung. Trotz allem. Er erhebt sich, bittet zum Nachtimbiss. Niemand soll sagen können, er sei hungrig nach Hause gegangen.
Klara nimmt ihren Mann beim Arm. Sie hat ihn während des Tanzes der Russin von der Seite beobachtet. Äußerlich ist er ruhig und beherrscht gewesen, aber seine Wangen zeigen jetzt eine Pfirsichfärbung, und das Kinnbärtchen steht wirr unter der Unterlippe.
Er habe auf einmal, sagt er, als sie Arm in Arm zum Büffet gehen, sagt es leise zu ihr und lacht dabei, er habe einen Riesenhunger und außerdem Lust auf ein großes, kühles Glas Bier, es sei ein vortrefflicher Abend gewesen. Ob sie nicht auch seiner Meinung sei?
Oh ja, Karl, antwortet Klara, vor allem werde Sascha Schneider ein vortreffliches Bild entwerfen, das ein Magnet für die Radebeuler Villa sein werde. Ein Magnet ja, entgegnet May, ein Magnet und ein Aushängeschild für einen neuen Karl May … oh ja, dieser 17. Oktober sei ein guter Tag gewesen.
Ah, da ist das Bier!
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