Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
hat er zu Karl aufgeblickt, als der von ihrer „Geistesbruderschaft“ sprach, wie zu einem Gott, jawohl. Ganz nasse Augen hat er bekommen, der liebe Junge. Die Dame Klara weiß, es wird eine fruchtbare, eine großartige Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann Karl May und Sascha Schneider. Sie passen gut zusammen, die beiden, der alte Schriftsteller und der junge Maler.
Als Schneider vor ein paar Tagen die Skizze zu Karls Buch „Und Friede auf Erden“ mitbrachte, genau an diesem Nachmittag, dem Siebzehnten, wo sie dann alle am Abend bei Kreis eingeladen waren, jene Skizze, die er ungetitelt gelassen und die er Karl geschenkt hatte, da ist ihr die Idee gekommen, ob dieser Maler nicht für Karls Bücher ganz neue Deckelbilder entwerfen, einen anderen Stil in die Gestaltung der Einbände bringen könnte, einen Stil, der einen „neuen“, einen bisher unbekannten May vermuten ließe. Sie muss mit Karl darüber reden, sie glaubt, er denkt in diesem Punkt genau wie sie. Hat es nur nicht ausgesprochen, wahrscheinlich aber darüber gebrütet, der vorsichtige, nachdenklich zögerliche Mensch, der er neuerdings so oft ist. Oh ja, sie werden darüber reden, auf jeden Fall. Gleich wenn sie zurück ist von ihrer unangenehmen Mission, wird sie Karl darauf ansprechen. Leider waren die letzten Tage so randvoll mit unnötigem Krimskrams, dass sie nicht dazu gekommen sind … Da war die unsägliche Geschichte mit den Prager Ausgaben Mays. Ein gewisser Alois Hynek hatte ohne Karls Wissen eine Übersetzung von „Deutsche Herzen, deutsche Helden“ herausgegeben, nun hat Josef Vilímek sich in einem Brief an Karl beklagt, er sähe seine autorisierte Ausgabe von Mays Werken (die „Datteln“ wären soeben erschienen) hochgradig gefährdet, und nun bitte er um Hilfe und um Hinweise zur weiteren Verfahrensweise. Karl hatte ihm sofort geantwortet und verlangt, Vilímek solle ihm seinerseits haarklein nachweisen, in welchem Umfang er den geschlossenen Kontrakt bereits erfüllt habe und wie der Stand sei, denn, wenn der Klageweg beschritten werden müsse, habe die Beweislage hieb- und stichfest zu sein. Karl hatte nämlich den Verdacht, dass
sein lieber Vilímek
, wenn nicht ein doppeltes Spiel spielte, so doch zumindest unsauber arbeite. Ach, so geht es andauernd, dachte Klara voller Kummer und wandte ihren Kopf vom Fenster weg, der Ärger mit den Lizenzausgaben werde von Tag zu Tag unüberschaubarer. Am besten sei, in der Sache Alois Hynek nach Prag zu reisen und alles selber in Augenschein zu nehmen, aber … – plötzlich fiel ihr Blick auf die Zeitung, die ihr Gegenüber, der Herr mit dem Backenbart, vielleicht, weil ihm die Augen in der warmen, verbrauchten Luft des Abteils schwer geworden und er ein paar Minuten schlummern wollte, aus der Hand gelegt hatte. Die Zeitung, es handelte sich um die „Dresdner Nachrichten“, lag aufgeschlagen über seinen Knien und Klara konnte ein paar der fett gedruckten Überschriften lesen. Erst las sie die, den Kopf ein wenig schräg haltend, aus Gewohnheit und gelangweilter Neugier, buchstabierte im Stillen die entzifferten Worte, bewegte ihre Lippen, lächelte schamhaft, schaute mit schrägem Blick, ob auch niemand im Abteil gesehen hätte, wie sie in der fremden Zeitung las – dann entdeckte sie eine Zeile, die sie zusammenzucken ließ:
Der Jugendschriftsteller May – ein Lügner!? – unsere Antwort auf einen Leserbrief“
– sie kniff die Augen zusammen, denn die darunterliegende Schrift war kleiner. Sie las: … so antworten wir unserem Leser L. mit einem Zitat und dem Abdruck aus der „Frankfurter Zeitung“, welcher uns freundlich erlaubt wurde, dort heißt es:
Mays Schriften seien alle nach einer bestimmten Schablone gemacht, und sie strotzen von einer gesunden Rohheit, welche durch ihre Verquickung mit einer tendenziösen Verherrlichung des Christentums nicht gerade angenehmer werde
.
Man halte also die ganze May-Literatur für keine erfreuliche Kulturerscheinung. Selbst auf die Gefahr, zahlreiche Anhänger dieses Autors auf das schmerzlichste zu verprellen, müsse man sagen, Karl May habe die fernen Länder, die er so anschaulich schildere, mit keinem Fuße betreten, indes er in der Reiseliteratur gut Bescheid wisse und offenbar ein wenig Sprachwissenschaft betrieben habe. Er erfinde sich vielmehr den Rahmen für jene Auspinselung seiner kolossalen Erlebnisse, die ihm daheim in der Oberlößnitz bei Dresden einfielen …
Sie wollte weiterlesen, aber die aufgeschlagene Seite lag
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