Die Gejagte
irgendwelche anderen Schlussfolgerungen auf Lager?«
»Ja«, antwortete Jenny. »Wir müssen hier raus.«
»Ich kann mich nicht bewegen«, sagte Dee. »Und du?«
Es gab zwar keine sichtbaren Fesseln, aber Jennys Arme und Beine waren zu schwer, um sie anzuheben. Sie konnte atmen und den Oberkörper ein wenig bewegen, aber ihre Glieder fühlten sich wie tote Gewichte an.
Ich habe Angst, dachte Jenny. Und dann dachte sie daran, wie Dee sich fühlen musste. Als Athletin war körperliche Hilflosigkeit ihre schlimmste Angst. Ihr schlanker, starker Körper, den sie mit so viel Hingabe trainiert hatte, nutzte ihr jetzt überhaupt nichts.
»Dieser Ort – er ist so steril«, sagte Dee, deren Nasenflügel bebten. »Riechst du das? Ich wette, sie sind wie ein Schwarm Insekten, alle gleich. Wenn wir nur aufstehen und gegen sie kämpfen könnten … Aber sie haben natürlich Waffen .«
Jenny verstand. Weder Muskeln noch Intelligenz würden etwas gegen eine sterile, höllisch effiziente Technik ausrichten können. Kein Wunder, dass Dees persönlicher Albtraum so aussah.
Aus dem Augenwinkel nahm Jenny eine Bewegung wahr.
Sie waren klein – ungefähr wie Summer. Für Jenny sahen
sie aus wie Dämonen: unbehaart, schlanke Körper, große, glitzernde dunkle Augen. Keine Nasen, die Münder bloße Schlitze.
Ihre Haut schimmerte wie gammelige Pilze – sehr bleiche Pilze, die in einem Keller gewachsen waren, ohne jemals Tageslicht erblickt zu haben. Jenny bemerkte den Geruch von Mandeln.
Sie waren lebendig und zugleich so fremd und falsch. Allein ihr Anblick löste bei Jenny Übelkeit erregendes Grauen aus.
Sie waren nackt, aber Jenny konnte keinen Unterschied zwischen Männchen und Weibchen sehen. Ihre Körper waren grässliche Hüllen, wie Puppenkörper. Sie sind alle ein Es, dachte Jenny angewidert.
Und sie ahnte, dass sie ihr wehtun würden.
Dee gab einen schwachen Laut von sich.
Jenny drehte sich wieder zu ihr um. Es war leichter als beim ersten Mal, und nach einem Augenblick begriff sie, dass der Scheinwerfer über ihr minimal schwächer geworden war. Das Licht über Dee war dagegen heller, weil Dee zu entkommen versuchte.
Noch nie hatte Jenny ihre Freundin verängstigt erlebt – selbst im Salon hatte Dee hauptsächlich wachsam gewirkt. Aber jetzt wirkte sie wie ein panisches Tier. Ihre Anstrengungen, sich zu bewegen, trieben ihr Schweißtröpfchen auf die Stirn. Und je mehr sie sich wand, umso heller wurde das Licht über ihr.
»Dee, hör auf damit«, sagte Jenny angespannt. Sie
konnte Dees Qual kaum ertragen. »Es ist nur ein Traum, Dee! Lass dich davon nicht einschüchtern.«
Aber Julian hatte gesagt, wenn sie im Traum verletzt würden, wäre die Verletzung real.
Die Besucher scharten sich um Dee, aber sie wirkten in keiner Weise aufgebracht oder beunruhigt. Im Gegenteil – sie schienen vollkommen gleichgültig zu sein. Einer von ihnen schob einen Wagen auf die gegenüberliegende Seite von Dees Tisch. Jenny erkannte darauf ein Tablett mit glänzenden Instrumenten.
Gott – nein, dachte Jenny.
Dee brach erschöpft auf dem Tisch zusammen.
Ein anderes Wesen nahm etwas Langes, Glänzendes von dem Tablett und untersuchte es mit leuchtenden schwarzen Augen. Es bog das Ding einige Male durch wie ein Maler, der mit einem Pinsel experimentierte. Das Wesen schien unzufrieden zu sein, obwohl Jenny aufgrund seines maskenhaften Gesichtes nicht wusste, woran sie das erkennen konnte. Dann bewegte es das lange, glänzende Ding zu Dees Oberschenkel und Dee schrie auf.
Der Schrei erschütterte Jenny bis ins Mark. Sie hatte solche Angst, dass sie verzweifelt versuchte, sich aufzurappeln, doch nur ihre Beine bewegten sich ganz leicht. Eins der Wesen brachte sie vorsichtig wieder in ihre frühere Position und zog ihre Füße bis zu den unteren Ecken des Tischs hinunter.
Noch nie zuvor hatte sie sich so entblößt gefühlt, so vollkommen verletzlich.
Dees schwarze Leggins klafften auf, wo das Wesen sie mit dem Ding zerschnitten hatte. Jenny konnte Blut sehen.
Das nackte Etwas reichte das Instrument weiter und ein anderes Wesen brachte es weg. Falls sie redeten oder auf eine andere Art kommunizierten, konnte Jenny es nicht wahrnehmen. Ganz sicher aber versuchte niemand, mit Dee oder Jenny Kontakt aufzunehmen.
Da bewegten sie sich wieder. Einer von ihnen – derselbe, der Dee geschnitten hatte? – ergriff ein neues Instrument und ging zu Jennys Tisch. Mit einer schnellen, geschickten Bewegung berührte das Wesen
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