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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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nichts. Keine Eiszeit, kein Wohnzimmer. Nichts als Dämmerung. In die hinauszutreten, einiges an Mut abverlangte.
    »Oh, zur Hölle, was soll’s«, sagte Michael, schnappte sich Audreys Hand und tat einen Schritt ins Freie.
    Dee ließ ein wildes Grinsen aufblitzen und hechtete hinaus wie ein Fallschirmspringer.
    Zach war derjenige, der zögerte. Jenny konnte es kaum glauben. »Wo ist er?«, fragte Zach.
    »Im Schrank. Geh, geh jetzt!«
    Zachs Gesicht war immer noch grimmig. »Ich dachte, du hättest es ernst gemeint …«
    Tom versetzte ihm einen kräftigen Stoß. Zach drehte sich und fiel mit ausgestreckten Armen und Beinen in die Tiefe.
    Das sah nicht nach Spaß aus. Bei diesem Schritt ins Ungewisse vertrauten sie auf das Schicksal. Nein – auf Julian, was noch viel gefährlicher war. Sie vertrauten darauf, dass er, als er gesagt hatte, Jennys Freunde könnten gehen, lebend gemeint hatte.
    Und, so dachte Jenny, sie vertrauten auf Grandpa Evensons Einschätzung, dass die Rune der Beherrschung alles
unter Kontrolle hatte. Tom nahm ihre Hand in seine beiden Hände.
    Sie sahen einander an und traten gemeinsam ins Freie.
    Der Himmel war ein rosafarbenes und goldenes Flammenmeer.
     
    Im freien Fall ging die Sonne auf. Im selben Moment nahm der ganze Himmel um sie herum eine Farbe an, wie Jenny es nur ein einziges Mal zuvor gesehen hatte. Ein unglaublich leuchtendes Blau. Die Farbe von Julians Augen.
     
    Ganz gleich wie oft man ohnmächtig wird, man gewöhnt sich niemals wirklich daran. Jenny kam langsam zu sich. Sie lag am Boden, das war das Erste, was sie begriff. Kühl und sehr hart.
    Mexikanische Fliesen.
    Viel zu schnell richtete sie sich auf und wäre beinahe gleich wieder ohnmächtig geworden.
    Das Spiel war das Erste, was sie sah.
    Es lag mitten auf dem Couchtisch aus massiver Goldkiefer der Deckel der weißen Schachtel lag daneben auf dem Boden. Die Rune Uruz war stumpf wie Rost.
    Das viktorianische Papierhaus stand groß und perfekt da und seine Farben glänzten in dem rosigen Morgenlicht. Der einzige Unterschied, den Jenny ausmachen konnte, lag darin, dass die Blätter, auf die sie alle ihre Albträume gezeichnet hatten, verschwunden waren – ebenso wie die Papierpuppen, die sie selbst darstellten.

    Es sah alles so unschuldig aus, so rein und gesund, einschließlich der Tupperdose mit Joeys Buntstiften, die neben dem Haus stand.
    »Vielleicht war alles nur ein Traum«, sagte Michael heiser.
    Er befand sich auf der anderen Seite des Tisches, zusammen mit Audrey, die sich gerade aufrichtete. Ihr glänzendes kastanienbraunes, beinah kupferfarbenes Haar war vom Wind zu einer Löwenmähne zerzaust worden, die sie ganz anders aussehen ließ. Ganz frei.
    »Es war kein Traum«, erwiderte Dee untypisch leise, dann streckte sie ihre langen Beine und stand auf. »Summer ist nicht mehr da.«
    Zach rappelte sich hoch und setzte sich auf einen der ledernen Hocker. Er sagte nichts, aber er rieb sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen.
    Jenny sah Tom an.
    Er richtete sich ganz langsam auf und stützte sich dabei am Tisch ab. Jenny legte ihm eine Hand unter den Arm und er warf ihr einen dankbaren Blick zu. Er hatte sich verändert. Vielleicht sogar noch mehr als Audrey. Er sah zerschlagen und mitgenommen aus, und seine Ausstrahlung, immer alles unter Kontrolle zu haben, war verloren. In seinen Augen stand ein neuer Ausdruck, eine Traurigkeit, in der zugleich so etwas wie Dankbarkeit lag. Jenny wusste kein Wort dafür.
    Vielleicht – Demut.
    »Tommy«, sagte sie besorgt.
    Sein verwegenes Lächeln war schief. Zerschlagen wie
sein teuflisch gutes Aussehen. »Ich dachte, du würdest vielleicht wirklich bei ihm bleiben. Um mich zu retten – und weil du es wolltest. Und – ich hätte dir auch keinen Vorwurf daraus machen können. Das habe ich irgendwie begriffen, als er dir den Ring gab.«
    Jenny, die gerade protestieren wollte, schaute auf ihre Hand. Und damit löste sich auch der letzte leise Zweifel an der Realität der vergangenen Nacht auf. Der Ring war da, er glänzte an ihrem Finger.
    »Ich war mir sicher, dass du wirklich bei ihm bleiben würdest«, bemerkte Audrey. »Du hast mich total davon überzeugt, dass du das ehrlich wolltest – und es war alles nur ein Trick?«
    »Es war die Wahrheit. Ich habe es freiwillig getan, und ich wollte bleiben – lange genug, um sicherzustellen, dass Tom und ihr anderen rauskommen würdet.«
    »Ich wusste es«, erklärte Dee.
    »Ja, das ist wieder mal dein typisches

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