Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Punkten in der Dunkelheit, am liebsten hätte er geweint. Er kam
sich so feige vor. Doch stärker noch als die Scham war die kalte, hartnäckige Angst, die er in sich wachsen spürte. Sie ließ ihn nicht mehr los. Die Angst hatte seine frühere Selbstsicherheit ausgelöscht, die schöne Selbstsicherheit jener Zeit, als er abends nach der Safari in den Zelten herumstolzierte und Whisky trank. Es gab niemanden, dem er sagen konnte, dass er Angst hatte. Aber die Krokodile wissen es. Vom Grund ihres Wasserlochs aus wittern sie meine Angst und rotten sich vor mir zusammen, um sich daran zu weiden. Sie warten. Sie haben Zeit, alle Zeit der Welt, was kümmert es sie, dass man sie abschlachtet, sie wissen, dass sie uns am Ende doch überlegen sein werden, dass die rohe Gewalt immer den Sieg davonträgt. Sie warteten und richteten dabei gelbe Lichter auf ihn. Um seine Angst zu steigern … dabei war sie jetzt schon so groß wie eine Höhle, die ihn fast verschlang.
Joséphine. Mylène. Sie sind immer stärker geworden, während ich schwächer wurde, ihr Kopf sitzt fest auf ihren Schultern, während sich meiner hin und her dreht wie eine Wetterfahne. Mylène gab sich ruhig und gelassen, wenn Pong die Post brachte. Sie sagte kein Wort, brauchte nicht einmal zu fragen, ob der Scheck gekommen war, sie sah zu, wie er die Umschläge von dem hölzernen Tablett nahm, das Pong ihm darbot, wandte sich wieder ihrem Büffelschnitzel zu und zerteilte es so energisch, dass ihr Messer über den Teller kratzte. Antoine lief es bei dem Geräusch eiskalt den Rücken hinunter. »Ist es gut? Schmeckt es dir?«, fragte sie. Sie hatte gelernt, das Büffelfleisch in einer Sauce aus wilder Minze und Eisenkraut zu marinieren, die ihm einen köstlichen Geschmack verlieh. Eine willkommene Abwechslung nach all dem Huhn.
Sie schmiedete Pläne, denn sie hatte nicht vor, untätig herumzusitzen. Chinesisch lernen, die chinesische Küche kennenlernen, Armbänder und Halsketten herstellen wie die Frauen auf dem Markt, sie vielleicht in Frankreich verkaufen, aus hiesigen Samen und Pigmenten Make-up herstellen, einen Filmclub gründen oder Zeichenunterricht geben. Jeden Tag fiel ihr etwas Neues ein. Joséphine hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, zum Telefon zu greifen, um ihn zu beschimpfen, ihn einen Feigling und Dieb zu heißen. Zwei Frauen im Harnisch. In einem Krokodilpanzer, dachte er und musste über den gewagten Vergleich lächeln. Die Frauen haben gelernt, stark zu sein,
und mit der Zeit haben sie sich einen Panzer zugelegt. Manchmal wirkt ihre Erbarmungslosigkeit geradezu grausam. Aber sie haben recht, in der heutigen Zeit muss man erbarmungslos sein. Er sah die Ufer, die Steinblöcke, die die Tümpel begrenzten, die Drahtzäune, die die Krokodile daran hinderten, sich frei zu bewegen. Er spürte, wie ein leichter Wind aufkam, und strich sich die Haare glatt. Eines der Krokodile versuchte, sich aus dem Wasser zu ziehen. Es hatte seinen Körper bereits aus dem Tümpel gehievt und kroch auf seinen stämmigen, kurzen Beinen vorwärts. Verkrüppelte Beine, dachte Antoine. Das Krokodil drückte sein Maul gegen den Stacheldraht, versuchte ihn zu zerreißen, stieß einen rauen Schrei aus und schloss die Kiefer mehrmals um das Drahtgeflecht. Dann legte es sich hin und schloss die gelben Augen wie Rollläden, die man nur widerwillig herunterlässt.
Gestern Abend hatte Mylène gesagt, dass sie gern für eine Woche nach Paris zurückfliegen würde. Dann könntest du deine Töchter sehen. Ein großes Loch hatte sich in seinem Bauch aufgetan und ihn mit Angst erfüllt. Er hatte zu schwitzen begonnen, wahre Bäche von Schweiß waren über seinen Körper gelaufen. Joséphine und den Mädchen gegenübertreten, ihnen gestehen, dass er sich geirrt hatte, dass es doch keine so gute Idee gewesen war, Krokodile zu züchten. Dass er sich wieder einmal hatte reinlegen lassen …
Er schaute auf das hohe Gras vor ihm und die großen Akazien, die im morgendlichen Windhauch erschauerten. Ich mag den frühen Morgen und den Tau, der auf dem fetten Gras schimmert, ehe die Sonne es trocknet. Ich mag den Geruch des Eisenkrauts, die Baumstämme, die sich im heraufziehenden Tageslicht abzeichnen, den feuchten Dunst, der sich unter den ersten Sonnenstrahlen auflöst. Bin das wirklich ich, Antoine Cortès, der hier auf den Verandastufen sitzt? Das Krokodil hatte erneut gegen das Drahtgeflecht zu schlagen begonnen. Es gab nicht auf. Seine großen gelben Augen schienen durch
Weitere Kostenlose Bücher