Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
auf sie zu und fragten in ihrem stockenden Englisch, wo sie dieses Rot, dieses Grün, dieses Blau, dieses Rosa, dieses gelbliche Ocker, dieses rosige Beige oder den »Kakao für die Wimpern« kaufen könnten. Sie deuteten auf Mylènes Augen, ihre Wimpern, ihre Lippen und ihre Haut, schnupperten an ihrem Arm, um den Duft ihrer Körperlotion zu riechen, berührten ihr Haar, rieben es zwischen den Fingern und stießen vor Aufregung leise Schreie aus. Mylène musterte die mageren, mitleiderregenden Frauen in ihren zu großen Shorts, sah ihre ungepflegte Haut und ihre matten, verhärmten Gesichter. Außerdem war ihr aufgefallen, dass die Chinesinnen ganz verrückt nach Produkten waren, auf deren Verpackung Paris oder Made in France stand. Sie rissen sich darum, sie ihr für teures Geld abzukaufen. Das hatte sie auf die Idee gebracht, auf dem Gelände des Croco Parks einen Kosmetiksalon zu eröffnen. Dort würde sie Hautreinigungen und Schönheitsbehandlungen anbieten und die Produkte verkaufen, die sie aus Paris mitbrachte. Sie würde die Preise sorgfältig kalkulieren müssen, damit sich die Reisekosten amortisierten und ein Gewinn übrig blieb.
Auf Antoine konnte sie sich nicht mehr verlassen. Er verfiel zusehends und hatte angefangen zu trinken. Er war ein sanftmütiger, resignierter Alkoholiker. Wenn sie die Dinge nicht endlich selbst in die Hand nahm, hatten sie bald keinen Cent mehr. Heute Abend besuchte er seine Frau und seine Töchter. Vielleicht würde das etwas bei ihm auslösen. Seine Frau schien nett zu sein. Sie war eine anständige Frau. Fleißig. Jammerte nicht rum.
Mylène warf die Tüten auf das große Bett, öffnete eine leere Reisetasche und begann sie zu füllen. Und sowieso, dachte sie weiter, während sie die Tasche mit ihren Kosmetikprodukten vollstopfte, was hilft es zu jammern, das bringt uns auch nicht weiter, man hadert doch bloß mit seinem Schicksal und der Vergangenheit, aber die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern, also was soll’s? Sie zählte ein letztes Mal die Packungen, notierte auf einem Zettel, welche Menge sie von jedem Artikel gekauft und wie viel sie dafür bezahlt hatte. Ich hab die Parfüms vergessen! Und die Farbshampoos! Den Nagellack! Mist! Aber das macht nichts, ich geh morgen noch mal los oder schau bei meiner nächsten Reise danach. Es ist sowieso besser, klein anzufangen …
Sie zog sich aus, nahm ihr Nachthemd aus dem Koffer, ging ins Bad, packte die Hotelseife aus und duschte. Sie konnte es kaum erwarten, nach Kenia zurückzufliegen und ihren Schönheitssalon zu eröffnen.
Beim Einschlafen dachte sie über einen Namen nach, Beauté de Paris, Paris Chic, Vive Paris, Paris Beauty, doch plötzlich durchzuckte sie ein Gefühl der Panik. Mein Gott, hoffentlich werde ich das Zeug auch wieder los, ich habe alles ausgegeben, was noch auf meinem Konto war, jetzt ist nichts mehr da! Blind tastete sie im Dunkeln nach einem Stück Holz, an das sie klopfen konnte, und schlief ein.
Joséphine sah auf den Küchenkalender und markierte die kommenden zwei Wochen mit einem schwarzen Filzstift. Es war der 15. April, die Mädchen würden am 30. wiederkommen, sie hatte also zwei Wochen, in denen sie sich ganz ihrem Buch widmen konnte. Zwei Wochen, das hieß vierzehn Tage, das hieß mindestens zehn Stunden Arbeit pro Tag. Vielleicht zwölf, wenn ich viel Kaffee trinke. Sie kam
gerade vom Supermarkt zurück, wo sie sich mit Vorräten eingedeckt hatte. Sie hatte nur Konserven, Tüten und fertigen Brotaufstrich gekauft. Toastbrot, Wasserflaschen, Pulverkaffee, Ovomaltine-Riegel, Yoghurt, Schokolade. Sie würde Seiten über Seiten füllen müssen, wenn sie bis Juli fertig sein wollte.
Als Antoine vorgeschlagen hatte, die Mädchen während der Osterferien zu sich zu holen, hatte sie zunächst gezögert. Ihr war nicht wohl bei der Vorstellung, sie mit ihm nach Kenia fliegen zu lassen, wo nur Mylène auf sie aufpassen würde. Was, wenn die Mädchen zu nah an die Krokodile herangingen? Sie hatte mit Shirley darüber gesprochen. »Ich könnte doch mitfliegen«, hatte diese angeboten, »dann würde ich Gary mitnehmen … Ich kann ohne Weiteres zwei Wochen weg, die Musikschule ist während der Ferien geschlossen, und ich habe auch keine größeren Bestellungen, die ich ausliefern müsste. Außerdem liebe ich Reisen und Abenteuer! Frag Antoine, ob er damit einverstanden ist.« Antoine war einverstanden, und am Abend zuvor hatte sie die Mädchen, Shirley und Gary in Roissy am Flughafen
Weitere Kostenlose Bücher