Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
schaffen.«
»Mein chinesischer Chef … Er bezahlt mich nicht.«
»Wovon lebst du denn?«
»Von Mylènes Ersparnissen. Darum konnte ich auch die Raten für den Kredit nicht bezahlen.«
»Ach, Antoine …«
»Ich wollte mit Faugeron darüber reden, er sollte mir helfen, eine Lösung zu finden, aber er hat mir kaum zugehört …«
»Und was ist mit den Chinesen? Bekommen die ihr Geld?«
»Ja, einen Hungerlohn, aber immerhin werden sie bezahlt. Aus einem anderen Topf. Und ich werde ihnen bestimmt nicht ihr bisschen Geld wegnehmen.«
Joséphine überlegte und klopfte dabei mit ihrem Löffel gegen die Tasse.
»Dann musst du kündigen! Droh ihm damit, dass du alles hinschmeißt …«
Antoine starrte sie fassungslos an.
»Aber was soll ich denn dann machen?«
»Dann fängst du wieder von vorne an … hier oder irgendwo anders … ganz klein … einen Schritt nach dem anderen …«
»Das kann ich nicht! Ich habe da unten Geld investiert. Und ich bin zu alt.«
»Hör mir gut zu, Antoine: Solche Leute denken nur in Machtverhältnissen. Wenn du bleibst und weiter für ihn arbeitest, ohne dafür bezahlt zu werden, wie soll er dich dann respektieren? Aber wenn du
ihm alles vor die Füße wirfst und ihn mit seinen Krokodilen stehen lässt, wird er dir im Handumdrehen einen Scheck schicken! Denk doch mal nach … Das ist völlig logisch. Er wird auf keinen Fall das Risiko eingehen, Tausende Krokodile verenden zu lassen … Dann wäre er nämlich derjenige, der in der Klemme sitzt!«
»Vielleicht hast du recht.«
Er seufzte, als sei er bereits jetzt von der bevorstehenden Kraftprobe mit Mister Wei erschöpft, dann riss er sich zusammen und wiederholte: »Du hast recht. Genau das werde ich tun.« Joséphine stand auf, drehte die Hitze unter den Zwiebeln herunter, holte das Hühnchen aus dem Kühlschrank und briet die einzelnen Stücke im gusseisernen Schmortopf an. Der Duft riss Antoine aus seiner Versunkenheit.
»Wenn ich mit dir rede, kommt mir alles so einfach vor. So einfach … Du hast dich verändert.«
Er streckte den Arm aus und griff nach Joséphines Hand. Er legte die Arme um ihre Taille und flüsterte mehrmals »danke«. Es klingelte an der Tür. Das waren die Mädchen.
»Jetzt reiß dich zusammen! Lächle, sei fröhlich … Sie dürfen nichts davon erfahren. Das ist nicht ihr Problem. Einverstanden?«
Er nickte schweigend.
»Darf ich dich anrufen, wenn es mir schlecht geht?«
Sie zögerte einen Moment, doch als sie seine flehende Miene sah, gab sie nach.
»Und lass nicht zu, dass Hortense heute Abend das Gespräch an sich reißt … Sorg dafür, dass Zoé redet. Sie gerät leicht in den Hintergrund, wenn ihre Schwester dabei ist.«
Er lächelte schwach und nickte erneut.
Als sie aufbrechen wollten, fragte Antoine: »Willst du nicht mitkommen?« Doch Joséphine schüttelte den Kopf. »Nein, ich muss noch arbeiten. Amüsiert euch gut und kommt nicht zu spät nach Hause. Die Mädchen müssen morgen zur Schule!«
Sie schloss die Wohnungstür hinter ihnen und lächelte über ihren ersten Gedanken. Das muss ich aufschreiben, dachte sie, ich muss diese Szene aufschreiben und irgendwo in meinem Buch unterbringen. Ich weiß noch nicht genau, wo, aber ich weiß, dass ich einen schönen Moment erlebt habe, einen Moment, in dem die Gefühle
einer Figur die Handlung vorantreiben. Es ist herrlich, wenn die Entwicklung aus dem Inneren heraus entsteht und nicht von außen aufgedrängt wird …
Sie setzte sich an ihren Computer und begann zu schreiben.
Währenddessen kehrte Mylène Corbier in ihr Zimmer im Hotel Ibis in Courbevoie zurück. Antoine hatte es auf den Namen Monsieur und Madame Cortès reserviert. Was sie vor einem Jahr noch überglücklich gemacht hätte, ließ sie jetzt kalt. Sie hatte so viele Tüten dabei, dass es ihr nur mit Mühe gelang, den Schlüssel ins Schloss der Zimmertür zu bugsieren. Auf der Suche nach günstigem Make-up hatte sie zahllose Geschäfte abgeklappert: Monoprix, Sephora, Marionnaud, Carrefour, Leclerc. Vor ein paar Wochen war ihr eine Idee gekommen: Sie wollte den Chinesinnen im Croco Park beibringen, sich zu schminken, und davon ihren Lebensunterhalt bestreiten. In Frankreich Foundation, Mascara, Nagellack, Puder, Lidschatten und Lippenstifte besorgen und die Produkte in Afrika mit Gewinn weiterverkaufen. Ihr war aufgefallen, dass die Chinesinnen ihr ständig hinterherliefen, wenn sie sich schminkte. Sie tuschelten hinter ihrem Rücken und kamen schließlich
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