Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
auch schon gefragt …«
Sie gingen weiter. Nach einer Weile packte Josiane Marcel am Arm.
»Meinst du, ich sollte mal zum Psychologen?«
»Ich hätte nie gedacht, dass es so kompliziert ist, ein Baby zu bekommen!«
»Vielleicht machen wir uns das Leben auch nur kompliziert! Vielleicht wär es ja in null Komma nix da, wenn wir nicht so verkrampft wären.«
Marcel verkündete, dass sie ab sofort aufhören würden, an das Baby zu denken, sie würden den Namen Junior aus ihren Gesprächen verbannen und einfach so tun, als sei alles ganz normal.
»Wir reden nicht mehr darüber, wir haben Spaß, wir vögeln, und wenn dein Bauch in sechs Monaten immer noch so platt ist wie ’ne normannische Flunder … dann lass ich dich in ein Reagenzglas sperren!«
Josiane fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Sie waren vor dem Schaufenster eines Weinhändlers stehen geblieben. Marcel trat vor den verspiegelten Teil, zog die Haut an seinem Hals straff und schnitt eine Grimasse. »Vielleicht sollte ich mich noch schnell liften lassen. Nicht dass mich jemand für Juniors Opa hält, wenn ich ihn von der Schule abhole.«
Sie stieß ihm den Ellbogen in die Seite.
»Wir wollten doch nicht mehr darüber reden!«
Er hielt sich eine Hand vor den Mund, um anzudeuten, dass seine
Lippen ab jetzt versiegelt waren. Dann klopfte er ihr zärtlich auf den Hintern und nahm wieder ihren Arm.
»Tausend Francs, um ein Testergebnis durchzulesen, der hält sich wohl auch für was Besseres«, sagte Josiane. »Übernimmt das die Krankenkasse?«
Marcel antwortete nicht. Er war vor einem Zeitungskiosk stehen geblieben und starrte mit weit aufgerissenen Augen die Aushänge an.
»He, Marcel, wo bist du gerade? Was ist los?«
Er brachte kein Wort heraus.
»Hast du deine Zunge verschluckt?«
Er schüttelte den Kopf.
»Was dann?«
Sie stellte sich neben ihn vor den Kiosk und studierte die Titelseiten, bis sie eine Yves Montand gewidmete Sonderausgabe entdeckte. »Yves Montand, sein Leben, seine Affären, seine Karriere. Yves Montand und Simone. Yves Montand und Marilyn. Yves Montand, Vater mit siebenundsechzig … Seine letzte große Liebe hieß Valentin.«
Sie seufzte, öffnete ihr Portemonnaie, nahm die Zeitschrift und reichte sie Marcel, der ihr mit einem stummen Nicken dankte.
Sie gingen zu Fuß zurück ins Büro. Es war ein schöner Tag. Der Arc de Triomphe zeichnete sich siegreich vor dem blauen Himmel ab, kleine blau-weiß-rote Fähnchen flatterten an den Außenspiegeln der Busse, die Frauen trugen kurze Ärmel, und die jungen Männer zwickten sie in die Taille. Marcel und Josiane gingen Arm in Arm wie ein ganz normales Paar, das seine schönsten Kleider angezogen hat, um in den vornehmen Stadtvierteln spazieren zu gehen.
»Wir gehen nie so spazieren. Wie zwei Verliebte«, bemerkte Josiane. »Wir haben immer Angst, jemanden zu treffen.«
»Die kleine Hortense macht im Juni ein Praktikum in der Firma …«
»Ich weiß. Chaval hat’s mir erzählt … Wann geht der eigentlich?«
»Ende Juni. Er hat sich mächtig gefreut, als er mir seine Kündigung gegeben hat. Von mir aus hätte er auch gleich verschwinden können, aber ich brauch ihn noch. Wenigstens so lange, bis ich einen Nachfolger für ihn gefunden hab …«
»Dann sind wir den auch endlich los! Ich kann seine Visage nicht mehr sehen …«
Marcel warf ihr einen besorgten Blick zu. Sagte sie die Wahrheit, oder schwang da doch ein bisschen enttäuschte Liebe in ihrer Stimme mit? Er hätte es vorgezogen, Chaval in der Firma zu behalten, um ein Auge darauf zu haben, wie und wo er seine Zeit verbrachte.
»Denkst du gar nicht mehr an ihn?«
Josiane schüttelte den Kopf und trat gegen eine Getränkedose, die in den Rinnstein kullerte.
»Ach!«, rief Marcel. »Wenn man vom Teufel spricht …«
An der Ampel der Kreuzung Avenue des Ternes und Avenue Niel stand mit laufendem Motor ein rotes Cabrio. Am Steuer saß Bruno Chaval, mit Sonnenbrille, heller Wildlederjacke und offenem Hemdkragen. Er sang vor sich hin und drehte das Radio lauter, prüfte sein Aussehen im Rückspiegel, fuhr sich mehrmals durch das schwarze Haar, zog mit einem Finger seinen schmalen Schnurrbart nach, ließ den Motor aufheulen und fuhr mit quietschenden Reifen los, als die Ampel auf Grün umsprang.
Der große Ball auf Schloss Windsor wurde am Samstagabend übertragen. Joséphine, Zoé, Max und Christine Barthillet hatten sich vor Shirleys Fernseher versammelt. Nur Hortense hatte sich geweigert,
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