Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Wasser über ihre geröteten Augen laufen, dann ging sie zu Hortenses Zimmer und klopfte.
»Du hasst mich, hab ich recht?«
»Ach, Maman, lass mich in Ruhe! Wir beide haben uns nichts zu sagen. Ich wäre besser bei Papa in Kenia geblieben. Selbst mit Mylène komme ich besser klar als mit dir. Und das will was heißen!«
»Aber was habe ich dir denn getan, Hortense? Sag mir doch, was ich falsch gemacht habe.«
»Ich hasse alles, wofür du stehst. Dein trantütiges Getue, dein armseliges Gerede! Außerdem kotzt es mich an, dass wir immer noch hier wohnen … Du hast mir versprochen, dass wir umziehen, und jetzt sitzen wir immer noch hier in diesem erbärmlichen Loch, in dieser erbärmlichen Gegend mit diesen erbärmlichen Nachbarn.«
»Ich habe nicht genug Geld, um hier wegzuziehen, Hortense! Ich habe dir versprochen, dass wir umziehen, sobald ich es mir leisten kann, wenn dich das glücklich macht.«
Hortense sah sie misstrauisch an und strich sich mit einer Hand über die Wange, um die glühende Erinnerung an die Ohrfeigen auszulöschen. Joséphine tat es leid, dass ihr die Hand ausgerutscht war, und sie entschuldigte sich.
»Ich hätte dich nicht schlagen dürfen, Liebes … aber du hast mich so sehr provoziert.«
Hortense zuckte mit den Schultern.
»Nicht so schlimm … Ich werde versuchen, es zu vergessen.«
Es klopfte an der Zimmertür. Zoé meldete, dass das Essen fertig sei. Man warte nur noch auf sie beide. Joséphine wünschte, ihre Tochter würde ihr sagen, dass sie ihr verzieh, sie wollte sie in die Arme nehmen und küssen, aber Hortense antwortete »wir kommen« und verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Joséphine rang um Fassung, wischte sich die Augen und ging Richtung Küche. Im Flur hielt sie plötzlich inne. Jetzt, wo die Barthillets da sind, kann ich nicht mehr in der Küche arbeiten, dachte sie. Und auch nicht im Wohnzimmer. Wo soll ich meine Bücher unterbringen, meine Unterlagen, den Laptop? Wenn wir umziehen, suche ich uns eine Wohnung mit einem Arbeitszimmer nur für mich … Wenn das Buch ein Erfolg wird, wenn ich viel Geld verdiene, dann können
wir auch umziehen. Sie seufzte und verspürte den Drang, Hortense die gute Nachricht zu verkünden. Doch sie riss sich zusammen. Erst musste sie das Buch fertig schreiben. Sie würde in der Bibliothek arbeiten. Bei dem Mann im Dufflecoat. Sie war zu alt, um sich einfach so zu verlieben. Sie machte sich lächerlich. Was hatte Hortense gesagt? Trantütig. Sie hatte recht. Hortense hatte immer recht.
»Ham Sie keinen Fernseher?«, fragte Max, als sie in die Küche kam.
»Nein«, antwortete Joséphine, »und wir kommen sehr gut ohne zurecht.«
»Noch so ’ne komische Idee von Maman«, sagte Hortense und zuckte mit den Schultern. »Sie hat den Fernseher in den Keller gestellt. Wir sollen abends im Bett lieber lesen! Wahnsinnig aufregend!«
»Aber bald is doch der große Ball von Charles und Camilla in Schloss Windsor«, sagte Madame Barthillet. »Dann können wir den ja gar nicht sehen. Die Queen kommt, Prinz Philip, William, Harry und die ganzen anderen gekrönten Häupter!«
»Wir können zu Gary rübergehen«, antwortete Zoé. »Sie haben einen Fernseher. Aber dafür haben wir Internet. Tante Iris hat es einrichten lassen, damit Maman hier arbeiten kann. Das war ihr Weihnachtsgeschenk. Wir brauchen nicht mal ein Kabel dafür, es ist W-LAN!«
»Niemand fasst meinen Computer an«, drohte Hortense, »sonst reiße ich euch den Kopf ab! Ich warne euch.«
»Keine Angst. Ich hab meinen eigenen gerettet«, entgegnete Madame Barthillet. »Den hab ich für’n Appel und ’n Ei im Hehlerladen in Colombes gekauft …«
Sie sprach vom Untergeschoss eines Elektrogeschäfts, wo man zu einem Drittel des Ladenpreises gestohlene Ware kaufen konnte. Joséphine spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten. Es fehlte gerade noch, dass die Polizei bei ihr auftauchte!
»Und alles andere haben die Ihnen geklaut?«, fragte Zoé traurig.
»Alles … wir ham nix mehr!«, antwortete Madame Barthillet seufzend.
»Ach was, Jammern bringt Sie auch nicht weiter!«, mischte sich Hortense ein. »Sie suchen sich jetzt einfach einen neuen Job und gehen arbeiten. Wer wirklich arbeiten will, der findet immer was. Bei
Babettes Freund hat es keine vierundzwanzig Stunden gedauert, dann hat er bei einer Zeitarbeitsfirma angefangen. Er ist einfach reinspaziert und konnte sich den Job aussuchen. Man muss bloß morgens früh aufstehen, das ist
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