Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
mitzukommen und sich die gekrönten Häupter bei ihrem Schaulaufen anzusehen. Gary hatte ihnen murrend die Tür geöffnet. »Was für ’n Schrott wollt ihr euch da ansehen? Ich bleib in meinem Zimmer …« Sie hatten es sich im Wohnzimmer auf dem Boden vor dem Fernseher gemütlich gemacht und Chipstüten, Colaflaschen, Haribo-Erdbeeren, zwei Baguettes und Pastete vor sich ausgebreitet, die sie mit den Fingern aufs Brot schmierten.
Ich wäre besser zu Hause geblieben und hätte gearbeitet, dachte Joséphine. Der zweite Ehemann war immer noch am Leben! Sie hatte ihn lieb gewonnen, und es fiel ihr schwer, ihn umkommen zu lassen. Sie würde niemals rechtzeitig fertig werden. Der dritte musste unbedingt schneller sterben! Obwohl sie jeden Tag in die Bibliothek fuhr, war sie kaum vorangekommen. Es gab einfach zu vieles, worüber sie sich Gedanken machte. Hortense redete nicht mehr mit ihr, und Zoé hatte innerhalb einer Woche zweimal die Schule geschwänzt, um Max auf irgendwelche dubiosen Ausflüge zu begleiten. »Aber wir
haben doch nur das Handy zurückgeholt, das einer Freundin von Max geklaut worden war! Aber Max hatte seine Schultasche bei einem Freund vergessen, und ich bin mit ihm gegangen, um sie zu holen …«
»Und warum schminkst du dich neuerdings wie eine Schießbudenfigur, um zur Schule zu gehen?«
Die entzückende kleine Zoé verwandelte sich immer mehr in ein rebellisches Gör. Sie schloss sich im Badezimmer ein und kam im Minirock wieder heraus, die Augen kohlschwarz umrandet, die Lippen blutrot wie ein Vampir! Joséphine blieb nichts anderes übrig, als dem wild um sich schlagenden und wie am Spieß schreienden Kind mit Waschlappen und Seife die Farbe aus dem Gesicht zu waschen. Hortense zuckte gleichgültig mit den Schultern. Sie musste ihrem Vater etwas erzählt haben, denn Antoine hatte angerufen und gefragt: »Die Barthillets wohnen jetzt bei euch? Was soll das, Joséphine, ich habe dir immer gesagt, du sollst dich nicht mit denen einlassen, diese Leute sind kein Umgang für euch!«
»Ach ja?«, hatte Joséphine erwidert. »Und was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Hätte ich sie draußen auf dem Treppenabsatz sitzen lassen sollen?«
»Ja, genau das«, hatte Antoine geantwortet. »Du musst zuallererst an das Wohl der Mädchen denken …«
Christine Barthillet verbrachte ihre Tage im Jogginganzug auf dem Wohnzimmersofa und surfte im Internet. Sie war auf eine Singlebörse gestoßen und beantwortete die Mails lüsterner Männer. Wenn Jo aus der Bibliothek zurückkam, erzählte sie ihr, wer in den letzten Stunden alles angebissen hatte. »Keine Sorge, Madame Joséphine, bald bin ich wieder weg. Ich treib den Preis noch’n bisschen höher, und dann verschwinde ich. Zwei von denen sind so scharf auf mich, dass sie mir ’ne Bleibe besorgen wollen. So ’n junges Bürschchen, das noch ’n bisschen rummosert wegen Max, und ein Älterer, verheiratet, vier Kinder, der würd mir ’ne kleine Wohnung finanzieren, um abends vorm Nachhausegehen noch’n bisschen Gesellschaft zu haben. Er hat’nen Klempnerbetrieb, und anderen Leuten die Scheiße wegzumachen, scheint ordentlich was einzubringen.«
Joséphine war fassungslos. »Sie wissen doch gar nichts über diese Männer, Christine, wollen Sie sich wirklich auf so etwas einlassen?«
»Warum denn nich?«, entgegnete Christine Barthillet. »Ich war jahrelang das brave Muttchen, und was hab ich davon? Nix … Kein Dach überm Kopf, kein Geld, keinen Mann, keinen Job! Jetzt hol ich erst mal alles raus, was geht! Ich krieg Sozialhilfe, stell Anträge für sämtliche Zuschüsse, und für die Extras lass ich ’nen alten Sack blechen!«
Wenn sie nicht gerade die Mails unbekannter Männer beantwortete, spielte sie mit ihrer Kreditkarte Online-Poker. »Stud Poker, Madame Joséphine, da kann man richtig was gewinnen! Im Moment lern ich noch, wie’s geht, aber bald zock ich auf Teufel komm raus!« Unterdessen rutschte sie immer weiter ins Minus und steuerte geradewegs auf den Bankrott zu.
Joséphine war entsetzt. »Sie sind doch erwachsen, Christine, Sie tragen Verantwortung, Sie müssen Ihrem Kind ein Vorbild sein!«
Doch Christine Barthillet lachte nur über ihre Argumente.
»Die Zeiten sind vorbei!«, entgegnete sie. »Endgültig vorbei. Mit Ehrlichkeit gewinnt man keinen Blumentopf. Es lebe das Laster!«
»Aber nicht unter meinem Dach!«, hatte Joséphine protestiert. Madame Barthillet hatte etwas gebrummt, das wie »keine Angst, sind ja
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