Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Polizist hatte sie gefragt, ob sie sich verlaufen habe. »Nein«, hatte sie geantwortet, »aber Sie sollten mein Kindermädchen suchen, die hat sich
verirrt!« Ich hatte niemals Angst. Ich brauchte keine Stütze. Erst danach ist alles schiefgegangen. Verglichen mit Jo habe ich den umgekehrten Weg zurückgelegt.
»Du hörst mir gar nicht mehr zu!«
»Doch …«
»Ich habe die dunkle Seite des Lebens akzeptiert, sie stößt mich nicht mehr ab, und sie macht mir keine Angst mehr.«
»Und wie hast du das geschafft?«, fragte Shirley gerührt.
»Ich glaube, es ist die Liebe, die diesen täglichen Kampf möglich macht. Nicht Ehrgeiz, nicht der Wunsch, mehr zu haben, mehr zu besitzen, sondern Liebe … Auch nicht die Liebe zu sich selbst. Die bringt nur Unglück und lässt uns ewig im Kreis laufen. Nein! Ich meine die Liebe zu anderen, die Liebe zum Leben. Wenn du liebst, bist du gerettet. So, jetzt weißt du im Großen und Ganzen, was sich in der letzten Zeit in meinem Leben getan hat.«
Sie lächelte scheu, als sei sie selbst überrascht von ihren hochtrabenden Worten. Shirley sah sie an, dann sagte sie leise: »Und ich kämpfe immer noch, um mich zu befreien, nicht, um voranzukommen!«
»Doch, natürlich, du kommst auf deine Weise voran. Jeder von uns hat seine eigene Weise voranzukommen.«
»Ich konnte mich meinem Problem nicht stellen, ich habe es vorgezogen wegzulaufen. Und seitdem bin ich auf der Flucht.«
Sie seufzte, als dürfe sie nicht mehr dazu sagen. Joséphine musterte sie eine Weile und nahm sie in die Arme.
»Richtig zu leben bedeutet, sich ins Leben hineinzustürzen, sich darin zu verlieren, sich wiederzufinden und sich erneut zu verlieren, loszulassen und wieder von vorn anzufangen, aber man darf niemals, niemals glauben, dass man sich eines Tages ausruhen darf, denn es hört nie auf… Ruhe werden wir erst später haben.«
»Nach unserem Tod?«
Jo lachte.
»Wir sind auf dieser Welt, um zu kämpfen. Wir sind nicht hier, um es uns gemütlich zu machen.«
Sie machte eine kurze Pause, hielt Shirley die Tasse hin, um noch etwas Tee zu bekommen, schloss die Augen und murmelte mit einem leisen Lachen: »Wie ist sie eigentlich, die Königin von England?«
Shirley nahm die Teekanne und schenkte Tee nach.
»Kein Kommentar!«
Madame Barthillet war vom Markt zurück. Die Arme taten ihr weh von den Plastiktüten, die sie getragen hatte, und sie rieb sich die schmerzenden Handflächen, in die sich die Griffe eingedrückt hatten. Sie dachte kurz daran, die Sachen einfach auf dem Küchentisch liegen zu lassen, dann überlegte sie es sich anders und räumte sie weg. So viel Gemüse! So viel teures Gemüse hat sie mich einkaufen lassen! Dabei kann man doch genauso gut ’ne Dose aufmachen. Dann muss es geputzt werden, geschält, gekocht, wie lange das dauert! Sogar ’nen richtig schönen Potau-feu kriegt man mittlerweile aus der Tüte. Ich muss hier schnellstens raus! Irgendwo ’n neues Leben anfangen, ’ne ruhige Kugel schieben. Mich nich mehr abrackern, ’nen ordentlichen Kerl suchen, der mir die Miete zahlt und mich den ganzen Tag in Ruhe fernsehen lässt. Max kommt schon alleine klar. Ein Kind großzuziehen macht viel zu viel Arbeit. Wenn sie klein sind, geht’s ja noch, aber wenn sie größer werden, muss man richtig durchgreifen. Regeln aufstellen. Sich abstrampeln, dass sie sie auch befolgen. Darauf hab ich keine Lust, ich will meine Ruhe. Kinder sind undankbare Blagen. Jeder für sich! Um fünf Uhr war sie mit Alberto an der Défense verabredet. Duschen, sich vorbereiten. Sich hübsch machen. Ein paar Reste der alten Schönheit sind noch da. Noch kann ich so tun, als ob. Und’n junger Hüpfer ist der ja auch nicht! Ein verschwommenes Foto hat er mir geschickt, auf dem man gar nichts erkennt. Der wird schon nicht so kleinlich sein.
Als Hortense vom Flohmarkt nach Hause kam, erwartete Madame Barthillet sie im Bademantel auf dem Wohnzimmersofa. Kaugummi kauend schaute sie die Sendung von Michel Drucker.
»Habt ihr was Nettes gefunden?«, fragte sie und richtete sich auf.
»Nur blödes Zeug«, antwortete Max. »Aber wir ham uns super amüsiert. Wir ham Flipper gespielt und Cola getrunken. So’n Typ hat alles bezahlt … Weil er scharf auf Hortense war.«
»Wie sah er denn aus?«, fragte Christine Barthillet.
»Total scheiße«, antwortete Hortense. »Aber es hat ihn heiß gemacht zu glauben, er kriegt mich mit drei Cola und ein paar Münzen für den Flipper rum. So ein
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