Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
unlogischen Dingen … Wenn mein Leben ein Roman wäre, dann wäre es ein Melodrama, das einem die Tränen in die Augen treibt, und für mich gibt es nichts Schlimmeres, als bemitleidet zu werden.«
Sie verstummte kurz, als hätte sie schon zu viel gesagt.
»Und wie läuft’s mit Madame Barthillet?«
»Soll das heißen, du willst nicht mehr darüber reden?«, entgegnete Joséphine mit einem Seufzen. »Du wechselst das Thema. Die Diskussion ist beendet.«
»Ich bin müde, Jo. Lass mich erst einmal durchatmen … Glaub mir, ich bin so froh, wieder zu Hause zu sein.«
»Das ändert nichts daran, dass wir dich im Fernsehen gesehen haben. Was willst du sagen, wenn die Mädchen oder Max dich danach fragen?«
»Dass ich eine Doppelgängerin am englischen Hof habe.«
»Das werden sie dir nicht glauben: Sie haben im Internet Fotos von Gary mit William und Harry gefunden! Ein ehemaliger Diener hat sie …«
»Er hat keine Zeitung gefunden, die sie ihm abgekauft hätte, also hat er sie ins Internet gestellt. Aber ich werde alles abstreiten, ich werde behaupten, dass alle kleinen Jungen sich ähnlich sehen. Vertrau mir, ich werde schon einen Weg finden. Ich habe schon Schlimmeres überstanden. Viel Schlimmeres!«
»Mein kleines, bescheidenes Leben muss dir schrecklich langweilig vorkommen …«
»Mit dem Buch wird dein Leben auch bald komplizierter werden. Wenn man erst einmal anfängt, zu lügen und falschzuspielen, schlittert man in die seltsamsten Abenteuer …«
»Ich weiß. Manchmal macht mir das Angst …«
Der Teekessel hatte zu pfeifen begonnen, der Deckel tanzte über dem aufsteigenden Dampf. Shirley stand auf, um den Tee zuzubereiten.
»Ich habe einen Lapsang Souchong von Fortnum and Mason mitgebracht. Mal sehen, was du davon hältst …«
Joséphine beobachtete, wie sie sich mit der ganzen Hingabe einer echten Engländerin der Teezubereitung widmete: die Teekanne mit heißem Wasser ausspülte, die Löffel Tee abzählte, das kochende Wasser darübergoss und den Tee ziehen ließ.
»Macht man den Tee in Schottland genauso wie in England?«
»Ich bin keine Schottin, Jo. Ich bin eine waschechte englische Lady …«
»Aber du hast doch gesagt …«
»Ich fand das romantischer.«
Joséphine hätte sie beinahe gefragt, was denn noch alles gelogen gewesen war, aber sie riss sich zusammen. Sie tranken ihren Tee und plauderten über die Kinder und über Madame Barthillet und ihre Internet-Bekanntschaften.
»Beteiligt sie sich denn an den Kosten?«
»Sie hat doch keinen Cent.«
»Willst du damit sagen, dass du für alle das Essen bezahlst?«
»Ja …«
»Du bist wirklich zu gut für diese Welt, Jo«, sagte Shirley und versetzte ihr einen sanften Nasenstüber. »Hilft sie dir wenigstens im Haushalt? Kocht sie? Bügelt sie?«
»Nicht mal das.«
Shirley zog die Schultern hoch und ließ sie mit einem Seufzen wieder sinken.
»Ich sitze den ganzen Tag in der Bibliothek. Ich bin mit dem Mann im Dufflecoat ins Kino gegangen. Er ist Italiener und heißt Luca. Er ist immer noch genauso verschlossen wie am Anfang. Und in gewisser Weise kommt mir das auch gelegen. Ich muss erst das Buch fertig schreiben …«
»Wie weit bist du denn?«
»Beim vierten Mann.«
»Und was ist das für einer?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich möchte, dass sie eine stürmische Liebe erlebt! Wild und leidenschaftlich …«
»Wie Shelley Winters und Robert Mitchum in Die Nacht des Jägers ? Sie begehrt ihn wie von Sinnen, und er stößt sie zurück… Also begehrt sie ihn noch mehr. Er gibt sich als Priester aus und bedient sich der Bibel, um seine Geldgier zu verschleiern. Als sie versucht, ihn zu verführen, weist er sie zurecht und wendet sich von ihr ab. Schließlich bringt er sie sogar um. Er ist der Inbegriff des Bösen …«
»Das ist es …«, sagte Joséphine und umklammerte die Teetasse mit beiden Händen. »Ich mache aus ihm einen teuflischen Prediger, der durch die Lande zieht. Sie lernt ihn kennen und verliebt sich Hals über Kopf in ihn, er heiratet sie, will ihr Schloss und ihr Gold und versucht, sie umzubringen. Man fürchtet um ihr Leben, er nimmt ihren Sohn als Geisel … Aber der kann sie nicht noch reicher machen.«
»Warum nicht? Du könntest doch schreiben, dass er schon viele Witwen betrogen hat. Er hat das Geld irgendwo versteckt, und sie könnte es erben …«
»Luca hat mir erst neulich von den Predigern jener Zeit erzählt …«
»Hast du ihm gesagt, dass du ein Buch schreibst?«,
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