Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Hosenbeinen ab, schmiert Lipgloss auf meine Autositze, klebt ihren Kaugummi ins Handschuhfach und hämmert mit ihrem Diortäschchen auf die Motorhaube, wenn ihr was nicht passt! Er musterte sich im Rückspiegel und fragte sich, was er getan hatte, um so etwas zu verdienen. Du bist doch nicht Frankensteins Sohn, riechst nicht muffig, hast’nen knackigen Arsch, und trotzdem ist die sich zu fein für dich! Er seufzte und drehte den Zündschlüssel.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sich Hortense noch einmal um, strich sich das Haar aus dem Gesicht und warf ihm eine Kusshand zu, ehe sie um die Ecke verschwand. Er antwortete mit der Lichthupe und legte wütend einen Kavaliersstart hin.
Meine Güte, lassen sich die Kerle leicht zum Narren halten! Die Torheit erotischen Verlangens! Die Tyrannei der Gefühle! Sie stürzen sich hinein, als wäre es eine gefährliche Höhle, und sind auch noch stolz darauf! Alle. Sogar so alte wie Chaval! Er bettelt um sein Vergnügen, er zittert, er fleht. Und dabei ist er schon fünfunddreißig, dachte Hortense. Der sollte doch allmählich genug Erfahrung haben. Aber nein! Er schlabbert rum wie eine Pfütze. Sie brauchte ihm nur vage Wonnen in Aussicht zu stellen oder den Rock ein Stück höher zu schieben, und schon schnurrte er wie ein zahnloser alter Kater. Soll ich mit ihm schlafen oder nicht? Eigentlich will ich ja nicht, aber womöglich verliert er sonst noch das Interesse. Und dann ist Schluss mit lustig. Ich würde es lieber mit jemandem machen, den ich mag. Vor allem beim ersten Mal. Mit Chaval wäre es bloß ein Deal. Und außerdem hängt er an mir wie ’ne Klette, und das ist alles andere als sexy!
Sie musste sich noch umziehen, ehe sie nach oben ging. In der Abstellkammer, wo die Putzmittel für das Treppenhaus gelagert wurden. Sie zog ihren Minirock aus, schlüpfte in eine Jeans, versteckte das bauchfreie T-Shirt unter einem Pullover, rieb sich die Schminke aus dem Gesicht und verwandelte sich wieder in Mamis kleines Töchterchen. Und die dämliche Kuh hat keinen blassen Schimmer!
Sie schob einen Kanister mit Bohnerwachs zur Seite, um ihre Klamotten dahinter zu verstecken, und bemerkte eine aufgeschlagene Zeitung, aus der ihr das Gesicht ihrer Tante entgegenblickte. »Vorher – nachher: Die Geburt eines Stars«, verkündete die Schlagzeile.
Gleich darunter ein Bild von Iris mit langem Haar und daneben eines mit ihrer neuen Jeanne-d’Arc-Frisur. Dazu die Worte: »Ich habe nur André Gides Ratschläge an einen jungen Schriftsteller befolgt …« Hortenses Mund rundete sich zu einem bewundernden Pfiff.
Sie wollte gerade nach oben gehen, als ihr die große weiße Colette-Tüte in ihrer Hand auffiel. Die Prada-Jacke!
Sie überlegte einen Moment, dann beschloss sie, das Etikett herauszutrennen und zu behaupten, sie habe sie am vergangenen Wochenende in Colombes auf dem Flohmarkt gekauft.
Antoine beobachtete das Krokodil, das sich vor ihnen in der Sonne aalte. Sie waren im Schatten einer großen Akazie stehen geblieben, und sein Blick ruhte auf dem Tier, das in der wärmenden Sonne lag, die Augen zu Schlitzen verengt. Riesig, abstoßend, glänzend. Was bist du schon?, grübelte er ärgerlich. Ein Überbleibsel der Dinosaurier? Ein Baumstamm mit zwei gelben Kerben? Eine zukünftige Handtasche? Was guckst du so spöttisch aus deinen halb geschlossenen Augen? Reicht es dir nicht, mir jeden einzelnen gottverdammten Tag auf den Sack zu gehen?
»Oh, sieh nur, ist der nicht süß?«, rief Mylène neben ihm. »Er liegt in der Sonne und bräunt sich. Und er wirkt so friedlich. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen!«
»Und er würde dich mit seinen achtzig Reißzähnen zerfleischen!«
»Aber nein … Er beobachtet uns, genau wie wir ihn. Er ist neugierig auf uns. Ich habe sie mittlerweile richtig lieb gewonnen, weißt du? Ich habe keine Angst mehr vor ihnen …«
Und ich hasse sie!, dachte Antoine und schoss mit seinem Gewehr in die Luft, um das Mistvieh zu vertreiben. Das Tier rührte sich nicht, im Gegenteil, es schien ihn sogar anzulächeln. Seit dem Aufstand der Krokodile und dem Tod der beiden Chinesen ging Antoine nicht mehr ohne Waffe aus dem Haus. Er trug sein Gewehr unter dem Arm und steckte Patronen in die Taschen seiner Shorts. Das erinnerte ihn an die gute alte Zeit bei Gunman & Co., als sein Leben noch in Ordnung gewesen war und wilde Tiere bloß verlockende Zielscheiben für gelangweilte Milliardäre.
Mister Wei bezahlte ihn jetzt
Weitere Kostenlose Bücher