Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
gemacht! Er redet von nichts anderem mehr. Wirklich eine brillante Idee, diese vergangenen Zeiten mit den heutigen Zuständen in Verbindung zu bringen! Brillant! Historische Romane sind im Moment unglaublich beliebt, da wird eine schöne Geschichte vor dem Hintergrund des Mittelalters ganz sicher ein Riesenerfolg.«
Joséphine verschluckte sich beinahe vor Überraschung, und Iris versetzte ihr unter dem Tisch einen Tritt.
»Und außerdem bist du so wahnsinnig fotogen, Iris! Allein schon ein Foto von deinen großen blauen Augen auf dem Cover würde aus dem Buch einen Bestseller machen! Nicht wahr, Nadia?«
»Soweit ich weiß, schreibt man nicht mit den Augen«, versetzte Iris.
»Das war doch nur ein Scherz. Wenngleich …«
»Bérengère hat nicht unrecht. Mein Mann sagt immer, dass es heutzutage nicht mehr reicht, ein Buch zu schreiben, man muss es auch verkaufen. Und in der Beziehung sind Ihre Augen von großem Vorteil! Mit Ihren Augen und Ihren Beziehungen ist der Erfolg garantiert, meine liebe Iris …«
»Jetzt musst du es nur noch schreiben, Liebes!«, rief Bérengère und klatschte vor Begeisterung in die Hände.
Iris antwortete nicht. Bérengère sah auf die Uhr.
»Oh, ich muss mich beeilen«, rief sie, »ich bin schon spät dran! Wir telefonieren …«
Die beiden Frauen verabschiedeten sich und gingen mit einem freundschaftlichen Winken davon. Iris zuckte mit den Schultern und seufzte. Joséphine schwieg. Die Kellnerin brachte die beiden Tassen Tee und ein von Sahne und Karamell triefendes Stück Apfelkuchen. Iris bat sie, die Bestellung auf ihre Rechnung zu setzen, und unterschrieb den Beleg. Joséphine wartete, bis die Kellnerin fort war, damit Iris ihr erklärte, was das gerade sollte.
»Na großartig! Jetzt weiß ganz Paris, dass ich ein Buch schreibe.«
»Ein Buch über das Mittelalter! Das ist doch wohl ein Scherz?«, fragte Joséphine, und ihre Stimme klang schriller als sonst.
»Du brauchst deswegen nicht gleich einen Aufstand zu machen, Jo, beruhige dich.«
»Du musst zugeben, dass das eine Überraschung ist!«
Iris seufzte erneut, warf ihren Zopf zurück und erzählte Joséphine, wie es dazu gekommen war.
»Vor einer Weile waren wir zu einem Abendessen eingeladen, und ich habe mich so gelangweilt, dass ich einfach drauflos geredet habe. Ich habe behauptet, einen Roman zu schreiben, und als man mich
fragte, worüber, fiel mir das zwölfte Jahrhundert ein … Frag mich nicht, wieso. Es sprudelte einfach aus mir heraus.«
»Aber mir hast du immer gesagt, das Thema wäre so verstaubt …«
»Ich weiß … Aber Serrurier, der Verleger, hat mich überrumpelt. Und ich habe mitten ins Schwarze getroffen! Du hättest sein Gesicht sehen sollen. Er war völlig aus dem Häuschen! Also habe ich weitergemacht, ich habe mich regelrecht in einen Rausch geredet, genau wie du, wenn du darüber sprichst. Komisch, findest du nicht? Wahrscheinlich habe ich dich sogar wortwörtlich zitiert.«
»Jahrelang habt ihr euch über mich lustig gemacht, du und Maman.«
»Ich habe alle deine Argumente angeführt, ohne auch nur einmal zu stocken … Als wärst du in meinem Kopf und redetest an meiner Stelle … Und er hat es ernst genommen. Er hat mir sofort einen Vertrag angeboten … Und offenbar hat sich das Gerücht schnell verbreitet. Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll, irgendwie muss ich die Spannung aufrechterhalten …«
»Du brauchst doch nur meine Aufsätze zu lesen … Ich kann dir auch meine Notizen geben, wenn du möchtest. Ich habe haufenweise Ideen für einen Roman! Das zwölfte Jahrhundert steckt voller spannender Geschichten …«
»Mach dich nicht über mich lustig. Ich kann keinen Roman schreiben … Ich möchte es so schrecklich gern, aber ich schaffe es einfach nicht, mehr als fünf Zeilen zu Papier zu bringen.«
»Dann hast du es tatsächlich versucht?«
»Ja. Seit drei, vier Monaten. Und weißt du, mit welchem Ergebnis? Drei, vier Zeilen! Ich habe mich ganz schön verschätzt!« Sie lachte bitter. »Nein! Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als den Schein zu wahren, bis die Geschichte in Vergessenheit gerät. Ich muss Theater spielen, so tun, als würde ich hart arbeiten, und dann, eines Tages, behaupte ich einfach, dass ich alles weggeworfen hätte, weil es zu schlecht war.«
Joséphine sah ihre Schwester verständnislos an. Die schöne, die kluge, die wunderbare Iris hatte gelogen, um sich eine Daseinsberechtigung zu erfinden! Sie musterte sie eine Weile
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