Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
als würde er nicht zahlen. Er spricht nicht über Geld. Das hat Stil! Das Leben ist wirklich totaler Mist, dachte sie und tauchte wieder unter. Henriette ist die Einzige, die weiß, wie’s läuft. Chef wird sie niemals verlassen. Sie schwamm zurück an die Oberfläche und beobachtete die Menschen um sie herum. Die Frauen waren elegant, und ihre Männer waren fort: damit beschäftigt, zu arbeiten und genug Geld
zu verdienen, damit sich ihre wunderschönen Frauen in ihrem neuesten Eres-Badeanzug auf einem Hermès-Bademantel am Beckenrand rekeln konnten. Sie träumte davon, eine dieser Frauen zur Mutter zu haben. Ich würde jede hier nehmen, dachte sie. Ganz gleich welche, nur nicht meine. Ich muss im Krankenhaus vertauscht worden sein. Sie hatte sich in der Kabine beeilt, um so schnell wie möglich zu ihrer Tante zu kommen, sie zu umarmen und sich an sie zu hängen. Um all diese wunderschönen Frauen glauben zu machen, dass Iris ihre Mutter sei. Sie schämte sich für ihre Mutter. Immer so linkisch und schlecht gekleidet. Immer musste sie rechnen. Oder sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenflügel reiben, wenn sie müde war. Sie hasste diese Geste. Ihr Vater dagegen war schick, elegant und verkehrte mit wichtigen Leuten. Er kannte alle Whiskymarken, sprach Englisch, spielte Tennis und Bridge, trug geschmackvolle Kleidung … Ihr Blick kehrte zu Iris zurück. Sie sah nicht traurig aus. Vielleicht hatte Alexandre sich ja geirrt … Er ist so was von blöd! Genau wie ihre Mutter, die immer noch wie eine Presswurst in ihren Bademantel gewickelt dasaß, ohne sich zu rühren. Sie wird nicht ins Wasser gehen, dachte Hortense, meinetwegen schämt sie sich jetzt!
»Willst du nicht ins Wasser?«, fragte Iris Joséphine.
»Nein … ich habe in der Kabine bemerkt, dass ich … dass jetzt gerade nicht der passende Zeitpunkt ist.«
»Meine Güte, bist du verklemmt! Hast du deine Tage?«
Joséphine nickte.
»Dann lass uns einen Tee trinken gehen.«
»Und was ist mit den Kindern?«
»Die werden schon nachkommen, wenn sie genug geschwommen sind. Alexandre kennt den Weg …«
Iris zog ihren Bademantel zusammen, nahm ihre Tasche, schlüpfte in ihre eleganten Badeschuhe und ging auf den Teesalon zu, der hinter einer Hecke aus Grünpflanzen verborgen lag. Joséphine zeigte Zoé mit dem ausgestreckten Finger, wohin sie gingen, und folgte ihr.
»Ein Stück Kuchen oder Torte zum Tee?«, fragte Iris, als sie sich hinsetzten. »Der Apfelkuchen ist einfach göttlich!«
»Nur Tee! Ich habe mit einer Diät angefangen, als ich hier reingekommen bin, und ich fühle mich schon ein bisschen schlanker.«
Iris bestellte zwei Tassen Tee und ein Stück Apfelkuchen. Als sich die Kellnerin entfernte, kamen zwei Frauen lächelnd auf ihren Tisch zu. Iris erstarrte. Joséphine wunderte sich über die offenkundige Verlegenheit ihrer Schwester.
»Hallo!«, riefen die beiden Frauen wie aus einem Mund. »Was für eine Überraschung!«
»Hallo«, antwortete Iris. »Meine Schwester Joséphine … Bérengère und Nadia, zwei Freundinnen.«
Die beiden Frauen bedachten Joséphine mit einem flüchtigen Lächeln und wandten sich, ohne sie weiter zu beachten, Iris zu.
»Was hat Nadia mir da gerade erzählt? Du sollst unter die Schriftsteller gegangen sein?«, fragte Bérengère mit vor Neugier und einer gewissen Begehrlichkeit angespannter Miene.
»Mein Mann hat mir nach dem Abendessen neulich davon erzählt! Ich konnte ja leider nicht mitkommen, weil meine Tochter vierzig Grad Fieber hatte. Er war ganz aus dem Häuschen!«, sagte Nadia Serrurier. »Mein Mann ist Verleger«, erklärte sie Joséphine, die so tat, als wisse sie, wovon die Rede war.
»Du schreibst heimlich ein Buch! Deshalb sieht man dich nirgends mehr«, sagte Bérengère. »Und ich habe mich schon gewundert … Ich habe ja nichts mehr von dir gehört. Ich habe ein paar Mal bei dir angerufen. Hat Carmen dir das nicht ausgerichtet? Aber jetzt verstehe ich! Bravo, Liebes! Das ist fantastisch! Du sprichst ja schon so lange davon! Du machst wenigstens Nägel mit Köpfen … Und wann dürfen wir es lesen?«
»Im Moment experimentiere ich nur mit der Grundidee herum … Ich schreibe noch nicht richtig«, antwortete Iris und spielte nervös mit dem Gürtel ihres weißen Bademantels.
»Sagen Sie das nicht!«, rief die Frau namens Nadia. »Mein Mann wartet sehnsüchtig auf Ihr Manuskript … Sie haben ihm mit Ihren Geschichten über das Mittelalter den Mund ganz schön wässrig
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