Die gelehrige Schuelerin
lieber in einen anderen Staat gefahren und hätte einen Zettel ans schwarze Brett gehängt:
Mr. Lester hat für heute andere Pläne.
Die erste Stunde verlief unruhig und ungeschickt, Ich blickte öfter auf die Uhr, als die Schüler es gewöhnlich taten. Ständig erwartete ich, ins Büro des Direktors gerufen zu werden, um dort einer aufgebrachten Mrs. Alston und dem Polizeichef zu begegnen. Schließlich erklang die Glocke, und ich sah Annie direkt ins Gesicht. An ihrem Ausdruck versuchte ich zu erraten, was gestern Nacht noch passiert war.
Zum erstenmal verwünschte ich die Kinder, die sich wieder um meinen Tisch versammelten. Aber sie standen da, eine kleine Gruppe, hauptsächlich Streber, die wissen wollte, ob ich mit der Korrektur des letzten Tests über Poe schon fertig wäre.
»Nein, ich habe noch nicht alle zensiert. Ihr werdet eure Arbeiten zurückkriegen, sobald ich damit fertig bin.«
Und dann kamen schon die Schüler der nächsten Klasse ins Zimmer. Annie saß geduldig wartend im Hintergrund des Raumes, stand auf, ging, wissend, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war.
Ich konnte mich kaum auf die Klasse konzentrieren, meine Aufmerksamkeit war voll von der Angst besetzt, doch entdeckt worden zu sein. Angst, dass ich bald als Mr. Lester, der Belästiger, verschrien sein würde.
Was hatte ich denn getan?
Nicht nur, dass ich mit einem minderjährigen Mädchen schlief, nein, ich tat es auch noch jede Nacht, wild, leidenschaftlich, sprach mit ihr über Armbeugen, Sternschnuppen und Vergewaltigung. Aß Menstruationsblut. Leckte, fickte und machte es nicht einfach und direkt, sondern brachte ihr auch noch ganz perverse Dinge bei. Wie würden die Schlagzeilen lauten? Was musste ihre Mutter jetzt unternehmen? Wie würde ich reagieren, wenn mein Kind von einem Lehrer verführt worden wäre?
All diese Konflikte. Und dann immer diese Angst!
Was konnte ich mir nur einbilden, jemandem wie Annie dieses immer wieder anzutun?
Während der Lunchpause stieg ich ins Auto und fuhr einige Meilen weit, bis ich eine öffentliche Telefonzelle entdeckte. Sie stand auf dem Parkplatz eines Restaurants.
»Staatspolizei, Harns«, meldete sich ein Mann am anderen Ende.
»Eh, ja, guten Morgen, ich meine, inzwischen heißt es wohl, guten Tag. Eh, ich habe eine etwas ungewöhnliche Frage an Sie, zumindest mag Sie Ihnen ungewöhnlich erscheinen, aber versuchen Sie bitte, mir zu folgen. Mein Name ist Nabokov, eh, ja, Professor Kinsey Nabokov. Ja, also, ich bin Professor, Gastprofessor in Portland State drüben, wissen Sie, und ich bin gerade dabei, eine Untersuchung zu starten, eigentlich ein kleines Projekt, na ja, ha ha, es ist sehr wichtig. Ziemlich geheim, eh, so in der Art. Bevor ich anfange, brauche ich, nun ja, es ist wirklich wichtig, brauche ich die Antwort auf eine sehr wichtige Frage. Sehen Sie, diese Studie …«
»Moment.« Ich war froh, dass zumindest keine Frau das Telefon beantwortet hatte. Und ich verwünschte mich, dass ich kein Taschentuch benutzt hatte, um meine Stimme zu verstellen.
»Ja?«
»Wie ich schon sagte, es handelt sich um eine Untersuchung über Jugendliche, ihre Umwelt, die Gruppenzwänge und so weiter. Kurz gesagt, ein sehr kompliziertes Projekt. Eine lange Geschichte, ich kann sie Ihnen jetzt nicht ausführlich erzählen. Es sind einige gewichtige Regierungsgelder darin verwickelt. Wie lautet das Vergewaltigungsgesetz in Oregon?«
»Wie bitte?«
»Das Gesetz …«
»Oh. Ja. Natürlich. Warten Sie einen Augenblick, ich werde nachsehen, Professor Nabokov.« Ob er mir glaubte? »Sie hätten auch die Polizei in Portland anrufen können, wissen Sie?«
»Ja, natürlich. Das weiß ich. Aber ich bin nun mal zufällig in der Gegend hier, in der Nähe von Salem …«
»Schon gut. Nur, das Gesetzbuch ist ein Monster. Es wäre besser gewesen, wenn Sie gleich das D. A. angerufen hätten.«
»Ja. Ja. Wie dumm von mir. Na, dann danke ich Ihnen für die Mühe. Ich werde …«
»Nein, nein, ich sehe schon nach. Ich werd’s schon finden. Nur einen Moment.«
»Ja. Nur, wissen Sie, ich bin schon etwas spät dran fürs Mittagessen. Da es so große Umstände macht, konnte ich doch …«
»Nein, es macht überhaupt keine Umstände. Bin ja froh, mal etwas im Dienst der Wissenschaft tun zu können.« Ich bildete mir ein, ihn lachen zu hören. »Denken Sie da an ein besonderes Alter? Sie wissen schon, das Mädchen ist soundso alt und der Typ ist vielleicht älter? Das macht einen wichtigen
Weitere Kostenlose Bücher