Die gelehrige Schuelerin
umarmte mich. Aber sie tat es so, als glaubte sie mir nicht ganz, als dächte sie, ich wollte damit jetzt nur alles wieder gutmachen und sie trösten.
Nachdem ich sie nach Hause gefahren hatte, lag ich auf meinem Bett – dem Tatort. Ich wünschte mir meine Annietage zurück. Ich wollte diese endlose Zeit wieder haben, diese unverplanten Tage, an denen wir tun konnten, was wir wollten, Spaß miteinander hatten, uns liebten, miteinander sprachen und uns unser Innerstes mitteilten. Diese Tage schienen mir irgendwie schon in weiter Ferne zu liegen.
Endgültig Schluss mit
Fantasie.
Warum sollten wir weiter auf einem Weg gehen, der dunkler und dunkler wurde? Wir sollten doch lieber das nähren und erhalten, was für uns das Beste gewesen war. Annie war so verletzlich. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, ihr wehzutun. Ich konnte mir nicht weiter einreden, dass es in Ordnung wäre, einen so jungen Menschen wie sie zu dominieren. Wäre eine ältere Frau damit fertig geworden?
Endgültig Schluss mit
Fantasie.
Dann versuchte ich einzuschlafen, wurde jedoch immer wütender und bekam immer mehr Schuldgefühle, weil allein der Gedanke an die abendliche Erfahrung mein Blut zum Rasen brachte. Die kleinste Erinnerung an
Die Szene
brachte mir eine Erektion.
Endgültig Schluss mit
Fantasie.
Aber am Schluss des nächsten Schultages fand ich wieder einen versiegelten Briefumschlag in meiner Jackentasche.
Lieber Boris, heute haben die Zigeuner Ferien. Ich möchte tanzen.
Es
soll ein großes Fest werden und viel zu trinken geben. Wir sollten uns mit uns selbst voll füllen. Du bist in der Tat Boris, der Kraftvolle, Mächtige. Aber heute ist die Nacht der Zigeunerfrauen. Heute feiern sie ein Fest. Ich werde für dich tanzen, und – wenn du Glück hast – wirst du zu Boris, dem Schwachen, werden.
Ich lecke dein Ohr
Natascha
Sie wusste also, dass es nur ein Spiel gewesen war. Endgültig Schluss mit
Fantasie.
In dem Brief schrieb sie, dass sie nun mich dominieren wolle. Ich musste mir keine Sorgen mehr machen, dass ich zu schwach werden würde. Wir konnten es einfach genießen.
Endgültig Schluss mit
Fantasie.
Wir sollten uns aber weiterentwickeln.
Endgültig Schluss mit
Fantasie.
Sie fühlte sich nicht schuldig.
Keine weiteren
Fantasiespiele
mehr! Und das meinte ich ernst.
Zur gewohnten Zeit klopfte Annie kurz an die Tür, anstatt zu klingeln. Sie stolzierte ins Zimmer. Auch heute Abend trug sie wieder den weiten Rock. Kein Begrüßungskuss. Kein Zeichen des Erkennens. In ihrer Hand hielt sie eine Schallplatte.
»Annie, hör mal, ich will kein …«
»Still, Boris!«, befahl sie. »Du sollst nicht sprechen, bis Natascha dir die Erlaubnis dazu erteilt!«
15. Kapitel
Herrin – Sklave
Ich hatte das Bedürfnis zu lächeln, aber ich unterdrückte es. Annie sah sehr ernst aus. Ich hätte sie verletzen können, oder sie hatte sich dämlich gefühlt, wenn ich ihr nicht die Chance eingeräumt hätte, das Fest der Zigeunerfrauen durchzuspielen.
In meinem Schlafzimmer tat ich, was sie mir befahl, und legte mich auf mein Bett. Ich spürte eine bestimmte Sicherheit und Gelassenheit, dass ich jetzt nichts erfinden oder inszenieren müsste, damit jemand von mir unterhalten würde. Ich war zu einer Party eingeladen, anstatt selbst eine schmeißen zu müssen.
Annie legte die Platte auf meine Stereoanlage. Leise, schnelle Bauchtanzmusik erklang aus den Lautsprechern. Kastagnetten, die sie sich um die Finger geschnallt hatte, klapperten zweimal kurz, und dann verkündete Annie:
»Das Fest der Zigeunerfrauen beginnt in diesem Augenblick…«
Sie tanzte. Zuerst langsam, unsicher, sie fühlte sich vor meinem starren, beobachtenden Blick unwohl. Aber bald schloss sie die Augen, und ich konnte sehen, wie die Musik langsam durch ihren Körper drang. Der Rhythmus begann, ihre Bewegungen zu dirigieren.
Ich sah ihr zu. Weit entfernt, unbeteiligt, aber es gefiel mir, dass sie für mich tanzte. Sie wollte mir gefallen.
Ihre Hüften wirbelten von der einen auf die andere Seite, dann ging sie zu einer kreisrunden Bewegung über. Sie streckte die Arme waagerecht von sich, so als würde sie eine Alexis-Sorbas-Imitation versuchen, aber dann beugte sie die Ellenbogen, so dass ihre Hände sich auf ihrer Kopfhöhe befanden und die Kastagnetten ihr in den Ohren klangen. Sie schlug den Takt der Musik mit. Mit unheimlich schnellen Drehungen wirbelte sie durchs Zimmer, ihr Rock flog weit hoch und gab die Beine frei, ihre Schals erwachten zum Leben.
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