Die Gelehrten der Scheibenwelt
unbehaglich.
Wenn man in einer komplexen Welt lebt, muß man sie vereinfachen, um sie verstehen zu können. Genau das bedeutet ›verstehen‹. In unterschiedlichen Stadien der Bildung sind unterschiedliche Grade der Vereinfachung angebracht. Lügner-für-Kinder ist ein ehrenwerter und unerläßlicher Beruf, auch als ›Lehrer‹ bekannt. Ein Ziel erreicht Unterricht aber nicht – obwohl viele Politiker es felsenfest glauben, was wiederum ein Problem ist: Er errichtet kein zeitloses Gebäude von ›Tatsachen‹.* [ * Als Menschen haben wir eine Menge nützliche Arten von Lügen erfunden. Wie Lügen-für-Kinder (»soviel sie verstehen können«) gibt es Lügen-für-Chefs (»soviel sie wissen sollten«), Lügen-für-Patienten (»was sie nicht wissen, wird ihnen keine Sorgen bereiten«) und aus allen möglichen Gründen Lügen-für- uns-selbst . Lügen-für-Kinder sind einfach eine weitverbreitete und notwendige Art von Lügen. Universitäten kennen zur Genüge die klugen, gut ausgebildeten Schulabgänger, die ein Studium beginnen und dann schockiert sind, wenn sie feststellen, daß Biologie und Physik nicht ganz das sind, was man ihnen bisher beigebracht hat. »Ja, aber Sie mußten das verstehen«, sagt man ihnen, »damit wir Ihnen jetzt sagen können, warum es nicht exakt wahr ist.« Lehrer auf der Scheibenwelt wissen das und benutzen diese Methode, um zu demonstrieren, warum Universitäten wahrlich Lagerhäuser des Wissens sind: Studenten kommen von der Schule im festen Glauben, daß sie nahezu alles wissen, und Jahre später gehen sie mit der Gewißheit ab, praktisch nichts zu wissen. Wo ist das Wissen geblieben? In der Universität natürlich, wo es sorgfältig getrocknet und gelagert wird. ] Immer wieder muß man Wissen, das man sicher zu haben glaubt, aufgeben und es durch etwas Subtileres ersetzen. Um diesen Prozeß geht es in der Wissenschaft, und er hört nie auf. Das heißt auch, daß Sie nicht alles, was wir sagen, für der Weisheit letzten Schluß halten sollten, denn wir gehören einem anderen, ebenso ehrenwerten Beruf an: Lügner-für-Leser.
Auf der Scheibenwelt ist eine von Ponder Stibbons Lügen-für-Zauberer im Begriff, ernstlich aus dem Ruder zu laufen.
FÜNF
Das Rundwelt-Projekt
Erzkanzler Ridcully erwachte aus einem Nachmittagsschläfchen, in dem er durch eine backofenheiße Wüste unter einem Flammenwerferhimmel gewandert war. Er mußte feststellen, daß dies im großen und ganzen der Realität entsprach.
Heißer Dampf zischte aus allen Verbindungsstellen des Heizkörpers in der Ecke. Ridcully schritt durch die stickige Luft und berührte vorsichtig den Radiator.
»Au! Verdammt!«
Er saugte an der rechten Hand, und mit der linken löste er den Schal vom Hals. Dann trat er in den Korridor und in eine Welt, die wie die Hölle mit eingeschalteter Heizung wirkte. Dampf wogte durch den Flur, und irgendwo weit oben erklang das einmal-gehörte-und-nie-vergessene Prasseln einer hochenergetischen magischen Entladung.
»Würde mir bitte jemand erklären, was zum Kuckuck hier los ist?« fragte Ridcully die Universität.
So etwas wie ein Eisberg ragte weiter vorn aus dem Dampf – der Dekan.
»Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß ich mit dieser Angelegenheit nicht das geringste zu tun habe.«
Ridcully wischte den Schweiß fort, der sich auf seiner Stirn bildete.
»Warum trägst du nur deine Unterhose, Dekan?«
»Ich … Nun, in meinem Zimmer ist es brütend heiß …«
»Ich verlange, daß du irgend etwas anziehst, Mann. Du siehst vollkommen unhygienisch aus!«
Erneut kam es zu einer magischen Entladung. Funken stoben von Ridcullys Fingerspitzen.
»Das habe ich gespürt! « sagte er und lief in sein Zimmer zurück.
Durchs Fenster beobachtete er, wie auf der anderen Seite des Gartens die Luft über dem Forschungstrakt für hochenergetische Magie flimmerte. Purpurne Linien tasteten hin und her, erreichten die beiden großen Bronzekugeln auf dem Dach, bildeten ein Zickzackmuster …
Ridcully reagierte wie ein typischer Zauberer: Er warf sich zu Boden und rollte zur Seite, bevor die Druckwelle der Entladung das Fenster zertrümmerte.
Der Schnee schmolz auf den Dächern. Wasser strömte von jedem Eiszapfen.
Eine große Tür schwankte und kratzte über den dampfenden Rasen.
»Um Himmels willen, Dekan, heb dein Ende der Tür an!«
Die Tür rutschte erneut.
»Sie ist zu schwer, Ridcully! Immerhin besteht sie aus massivem Eichenholz!«
»Worüber ich mich sehr freue!«
Ridcully
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