Die Gelehrten der Scheibenwelt
sind menschliche Näherungen für Regelmäßigkeiten, die in gewissen spezialisierten Regionen des Universums auftreten – chemische Moleküle, die Dynamik von Galaxien, was auch immer. Es gibt keinen Grund, warum unsere Formulierungen von Regelmäßigkeiten in Molekülen und Regelmäßigkeiten in Galaxien Teil eines tiefgründigeren Ensembles von Regelmäßigkeiten sein sollten, die beides erklären, genausowenig, wie Schach und Fußball irgendwie Aspekte ein und desselben umfassenderen Spiels sein sollten. Das Universum könnte ohne weiteres auf allen Ebenen Muster haben, ohne daß es ein Letztes Muster gibt, von dem sich alle anderen logisch herleiten müssen. Dieser Ansicht zufolge wird jedes Ensemble von Regeln von einer Feststellung begleitet, zur Beschreibung welcher Gebiete man es getrost benutzen darf – »Regeln zur Benutzung für Moleküle mit weniger als hundert Atomen« oder »diese Regel funktioniert für Galaxien, solange man nicht nach den Sternen fragt, aus denen sie bestehen«. Viele solche Regeln sind eher kontextuell als reduktionistisch: Sie erklären, warum Dinge auf eine bestimmte Weise funktionieren, in Begriffen, die außerhalb dieser Dinge liegen.
Die Evolution, besonders ehe sie durch die Augen der DNS* [ * Statt DNS (für Desoxyribonukleinsäure) wird neuerdings oft auch die englische Abkürzung DNA benutzt. – Anm. d. Übers. ] betrachten wurde, ist eins der deutlichsten Beispiele für diese Art von Denkweise. Tiere entwickeln sich wegen der Umwelt, in der sie leben, andere Tiere eingeschlossen. Ein interessanter Aspekt dieser Sichtweise ist es, daß das System zu einem großen Teil seine Regeln, die es befolgt, selbst hervorbringt. Das ähnelt einem Schachspiel, das mit Feldern gespielt wird, aus denen man neue Teile des Bretts bilden kann, auf denen neue Arten von Schachfiguren sich auf neue Weise bewegen können.
Könnte das gesamte Universum manchmal seine eigenen Regeln aus der Bewegung heraus erschaffen? Wir haben die Möglichkeit ein paarmal angedeutet; in folgendem Sinn nun könnte es geschehen. Es ist schwer zu verstehen, wie Regeln für Materie mit einer Bedeutung ›existieren‹ sollen, wenn es keine Materie gibt, nur Strahlung – wie es in einem frühen Stadium des Urknalls war. Fundamentalisten würden dagegenhalten, daß die Regeln für Materie in der Theorie von Allem schon immer implizit enthalten waren und explizit wurden , als Materie erschien. Wir fragen uns, ob derselbe ›Phasenübergang‹, der die Materie hervorbrachte, auch die Regeln hervorgebracht haben kann. Die Physik ist vielleicht nicht so, die Biologie aber gewiß. Ehe Organismen erschienen, kann es keine Regeln für Evolution gegeben haben.
Um ein vertrauteres Beispiel anzuführen, stellen Sie sich einen Stein vor, der einen buckligen Berghang hinabrollt, über ein Grasbüschel rutscht, heftig von größeren Felsen abprallt, durch Schlammpfützen platscht und schließlich vor einem Baumstamm liegenbleibt. Wenn der fundamentalistische Reduktionismus recht hat, dann folgt jeder Aspekt der Bewegung des Steins bis hin zu der Art, wie die Grashalme zerdrückt werden, welche Muster der Schlamm beim Wegspritzen bildet und wieso der Baum gerade an dieser Stelle wächst, aus einem einzigen Ensemble von Regeln, aus jener Theorie von Allem. Der Stein ›weiß‹, wie er rollen, rutschen, springen und liegenbleiben soll, weil die Theorie von Allem ihm sagt, was er zu tun hat. Mehr noch: Weil die Theorie von allem wahr ist, geht der Stein selbst die logischen Konsequenzen dieser Regeln durch, während er den Hang hinunterschlittert. Im Prinzip könnte man vorhersagen, daß der Stein genau diesen Baum treffen wird, indem man einfach notwendige Schlußfolgerungen aus der Theorie von Allem zieht.
Im Bild der Kausalität, das diese Ansicht heraufbeschwört, geschehen Dinge aus dem einzigen Grund, weil die Theorie von Allem es so behauptet. Die Alternative lautet, daß das Universum tut, was immer es eben tut, und der Stein in gewissem Sinn die Folgen dessen erforscht , was das Universum tut. Er ›weiß‹ nicht, daß er übers Gras rutschen wird, bis er auf Gras trifft und feststellt, daß er drüberrutscht. Er »weiß« nicht, wie er den Schlamm verspritzen soll, doch wenn er in eine Pfütze fällt, geschieht es. Und so weiter. Dann kommen wir Menschen daher und beobachten, was der Stein tut, und fangen damit an, Muster zu finden. »Ja, er rutscht deshalb, weil die Reibung so funktioniert …« – »Und die
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