Die Gelehrten der Scheibenwelt
nirgends Schildkröten.
»Friß heißes Plasma! Oh … Tut mir leid, Herr.«
Ponder blickte über seinen Verteidigungsschirm hinweg.
»Wenn Welten zusammenstoßen, junger Mann, macht irgend jemand etwas verkehrt!«
Das war die Stimme des Obersten Hirten. Sie klang noch verdrießlicher als sonst.
Ponder beschloß, nach dem Rechten zu sehen.
ZWÖLF
Woher kommen die Regeln?
Jemand veranlaßt die Rundwelt, seltsame Dinge zu tun …
Sie scheint Regeln zu befolgen.
Oder vielleicht erschafft sie sie selber aus der Bewegung heraus.
Isaac Newton hat uns gelehrt, daß unser Universum bestimmten Regeln folgt und daß dies mathematische Regeln sind. Zu seiner Zeit wurden sie ›Naturgesetze‹ genannt, aber ›Gesetz‹ ist ein zu starker Ausdruck, zu endgültig, zu anmaßend. Doch es hat tatsächlich den Anschein, daß es mehr oder weniger tiefgreifende Muster gibt, wie das Universum funktioniert. Menschen können diese Muster als mathematische Regeln formulieren und die sich daraus ergebenden Beschreibungen anwenden, um bestimmte Aspekte der Natur herauszufinden, die sonst völlig rätselhaft wären, und sie sogar benutzen, um Werkzeuge, Fahrzeuge, Technik herzustellen.
Thomas Malthus änderte das Denken vieler Leute, als er eine mathematische Regel für soziales Verhalten fand. Er sagte, daß Nahrung arithmetisch zunimmt (1, 2, 3, 4, 5), Bevölkerung aber geometrisch (1, 2, 4, 8, 16). Einerlei, wie hoch die Zuwachsraten sind, irgendwann übersteigt die Bevölkerung das Nahrungsangebot: Es gibt Grenzen des Wachstums.* [ * Diese Regel erfordert einige spezielle Voraussetzungen wie die chronische und unabänderliche Dummheit der Menschheit. ] Malthus’ Gesetz zeigt, daß es Hier Unten ebenso Regeln gibt wie Da Oben, und es sagt aus, daß Armut nicht das Ergebnis des Bösen oder der Sünde ist. Regeln können weitreichende Folgen haben.
Was sind Regeln? Verraten sie uns, wie das Universum ›wirklich‹ funktioniert, oder werden sie von unseren nach Mustern suchenden Gehirnen erfunden oder ausgewählt?
Dazu gibt es zwei grundsätzliche Ansichten. Eine ist im Kern fundamentalistisch, so fundamentalistisch wie der Taliban und die Südlichen Baptisten – ja, so fundamentalistisch wie der Exquisitor Vorbis in Einfach göttlich, der seinen Standpunkt so darlegt: »Was sich unseren Sinnen darbietet, ist nicht unbedingt die fundamentale Wahrheit. Was vom Fleisch gesehen, gehört und getan wird, entspricht nur den Schatten einer tieferen Realität.«
Der wissenschaftliche Fundamentalismus geht davon aus, daß es nur ein Ensemble von Regeln gibt, die Theorie von Allem, die nicht schlechthin die Natur ziemlich gut beschreibt, sondern die Natur ist. Seit etwa drei Jahrhunderten scheint sich die Wissenschaft zu genau einem solchen System zu sammeln: Je tiefgründiger unsere Theorien von der Natur werden, um so einfacher werden sie auch. Die Philosophie, die hinter dieser Sichtweise steht, ist als Reduktionismus bekannt, und sie schreitet voran, indem sie Dinge in Einzelteile auseinandernimmt, nachschaut, was die Teile sind und wie sie zusammenpassen, und die Teile benutzt, um das Ganze zu erklären. Es ist eine sehr wirksame Forschungsstrategie, und sie hat uns lange Zeit gute Dienste geleistet. Wir haben es jetzt geschafft, unsere tiefgründigsten Theorien auf nur zwei zu reduzieren: Quantenmechanik und Relativität.
Ursprünglich schickte sich die Quantenmechanik an, das Universum in sehr kleinem, subatomarem Maßstab zu beschreiben, doch dann bekam sie mit dem größten nur möglichen Maßstab zu tun, dem Ursprung des Universums im Urknall. Die Relativitätstheorie schickte sich ursprünglich an, das Universum in sehr großem, supergalaktischem Maßstab zu beschreiben, doch dann bekam sie es mit dem kleinstmöglichen Maßstab zu tun, den Quanteneffekten der Gravitation. Ungeachtet dessen widersprechen sich die beiden Theorien grundlegend in bezug auf das Wesen des Universums und die Regeln, die es befolgt. Die Theorie von Allem, hofft man, wird beide Theorien subtil modifizieren, so daß sie sich nahtlos zu einem vereinheitlichten Ganzen zusammenfügen, während sie auf ihren jeweiligen Gebieten weiterhin gut funktionieren. Wenn alles auf eine Letzte Regel zurückgeführt ist, wird der Reduktionismus am Ende seiner Suche und das Universum vollständig erklärt sein.
Die extreme Version der anderen Ansicht besagt, daß es keine letzten Regeln gibt, nicht einmal total exakte Regeln. Was wir als Naturgesetze bezeichnen,
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