Die Gelehrten der Scheibenwelt
stark beeinflußt, und sogar heute erweist sich eine so ›offensichtlich‹ atmosphärische Erscheinung wie das Wetter als eng mit Vorgängen in den Ozeanen verbunden. Einer der wichtigsten neueren Fortschritte bei Wettervorhersagen bestand darin, daß die Fähigkeit der Ozeane, Wärme und Feuchtigkeit aufzunehmen, zu transportieren und abzugeben, in die Berechnungen einbezogen wurde. In gewissem Maße kann man dasselbe von den festen Regionen der Erde behaupten, die sich ebenfalls zusammen mit Luft und Meeren entwickelt haben und ebenfalls mit ihnen in Wechselwirkung stehen. Doch der Zusammenhang zwischen Ozeanen und Atmosphäre ist stärker.
Die Erde und ihre Atmosphäre kondensierten gemeinsam aus der ursprünglichen Gaswolke, aus der die Sonne und unser Planetensystem entstanden. Als Faustregel kann man sagen, daß die dichteren Stoffe auf den Grund des kondensierenden Materieklumpens sanken, den wir jetzt bewohnen, und die leichteren obenauf blieben. Natürlich ist viel mehr als das geschehen und geschieht noch immer, so daß die Erde nicht bloß eine Reihe konzentrischer Schalen von immer leichterer Materie ist, aber die allgemeine Verteilung von festen Stoffen, Flüssigkeiten und Gasen entspricht dieser Regel. Als die geschmolzenen Gesteine der Erde sich also allmählich abkühlten und erstarrten, war der entstehende Planet bereits von einer Uratmosphäre umgeben.
Die unterschied sich mit größter Wahrscheinlichkeit sehr von der heutigen Atmosphäre, die ein Gasgemisch ist, dessen Hauptbestandteile die Elemente Stickstoff, Sauerstoff und das Edelgas Argon sowie die Verbindungen Kohlendioxid und (in Form von Dampf) Wasser sind. Die Uratmosphäre unterschied sich auch erheblich von der Gaswolke, aus der sie kondensierte – sie war nicht schlechthin ein repräsentatives Muster der Umgebung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer bestand darin, daß ein fester Planet und eine Gaswolke unterschiedliche Gase zurückhalten. Ein anderer Grund ist darin zu sehen, daß ein fester Planet Gase erzeugen kann, sei es durch chemische und sogar Kernreaktionen, sei es durch andere physikalische Prozesse, und diese Gase können aus seinem Innern in die Atmosphäre entweichen.
Die Urwolke war reich an Wasserstoff und Helium, den leichtesten Elementen. Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Molekül bewegt, nimmt ab, wenn das Molekül schwerer wird – ein Molekül mit hundertfacher Masse bewegt sich etwa mit einem Zehntel der Geschwindigkeit. Alles, was sich schneller als die Fluchtgeschwindigkeit der Erde (11 km/s) bewegt, kann die Gravitation des Planeten überwinden und in den Weltraum entweichen. Moleküle in der Atmosphäre, deren Molekulargewicht – das man durch Addition der Atomgewichte der einzelnen Atome erhält – unter etwa 10 liegt, sollten daher ins Vakuum verschwinden. Wasserstoff hat das Molekulargewicht 2, Helium 4, daher ist von keinem dieser sonst so reichlich vorhandenen Gase zu erwarten, daß es noch da ist. Die häufigsten Gase in der Urwolke mit einem Molekulargewicht über 10 sind Methan, Ammoniak, Wasser und Neon. Das ähnelt dem, was wir heute auf den Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun finden – nur daß jene massereicher sind, also eine höhere Fluchtgeschwindigkeit haben und auch leichtere Gase wie Wasserstoff und Helium halten können. Wir können nicht sicher sein, daß die Erde vor vier Milliarden Jahren eine Methan-Ammoniak-Atmosphäre besaß, da wir nicht genau wissen, wie die Urwolke kondensierte, doch es ist klar, daß die Erde, wenn sie in der Anfangszeit jemals solch eine Atmosphäre besaß, sie fast vollständig verloren hat. Heute gibt es wenig Methan oder Ammoniak, und was davon vorhanden ist, ist biologischen Ursprungs.
Kurz nachdem sich die Erde bildete, enthielt die Atmosphäre sehr wenig Sauerstoff. Vor rund zwei Milliarden Jahren erhöhte sich der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre auf etwa 5%. Der wahrscheinlichste Grund für diese Veränderung – wenn auch vielleicht nicht der einzige – war die Entwicklung der Photosynthese. In einem bestimmten Stadium, wahrscheinlich vor ungefähr zwei Milliarden Jahren, entwickelten Bakterien im Ozean einen Trick, wie man die Energie des Sonnenlichts benutzt, um Wasser und Kohlendioxid in Zucker und Sauerstoff umzuwandeln. Der Sauerstoff, den sie erzeugten, erschien nicht früher als vor zwei Milliarden Jahren in nennenswerter Menge in der Atmosphäre. Vorher mußte noch eine Menge Gase und Mineralien oxidiert werden.
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