Die Gelehrten der Scheibenwelt
Pflanzen benutzen heute denselben Trick, und sie verwenden dazu dieselben Moleküle wie eine Art der frühen Bakterien: Chlorophyll. Die Tiere nahmen ziemlich genau die entgegengesetzte Richtung: Sie gewinnen ihre Energie, indem sie Nahrung mit Sauerstoff verbrennen und Kohlendioxid erzeugen, statt es zu verbrauchen. Jene frühen zur Photosynthese fähigen Bakterien verbrauchten den Zucker zur Energiegewinnung und vermehrten sich rapide, doch der Sauerstoff war für sie nur eine Art Abfall, der in Bläschen in die Atmosphäre hochstieg. Der Sauerstoffpegel blieb dann ungefähr konstant, bis er vor etwa 600 Millionen Jahren rasch auf den gegenwärtigen Wert von 21 % anstieg.
Die Menge des Sauerstoffs in der heutigen Atmosphäre ist bei weitem größer, als sie es ohne den Einfluß von Lebewesen jemals bleiben könnte, die nicht nur Sauerstoff in großen Mengen freisetzen, sondern ihn auch wieder verbrauchen, indem sie ihn insbesondere in Kohlendioxid binden. Es ist erstaunlich, wie sehr die Atmosphäre ›im Ungleichgewicht‹ ist, verglichen damit, was geschähe, wenn das Leben plötzlich verschwände und nur anorganische chemische Prozesse am Werk wären. Die Menge des Sauerstoffs ist dynamisch – sie kann sich in Zeiträumen ändern, die nach geologischen Maßstäben außerordentlich kurz sind, eine Frage von Jahrhunderten eher als von Jahrmillionen. Wenn sich zum Beispiel eine Katastrophe ereignen würde, die alle Pflanzen tötete, die Tiere aber am Leben ließe, würde sich die Menge freien Sauerstoffs binnen rund fünfhundert Jahren halbieren und den Wert erreichen, den sie heute auf manchen Andengipfeln hat. Dasselbe gilt für das Szenarium des ›nuklearen Winters‹, das Carl Sagan eingeführt hat, wobei von einem Atomkrieg in die Atmosphäre hochgeschleuderte Staubwolken den größten Teil der Sonnenstrahlen vom Erdboden fernhalten. In diesem Fall könnten Pflanzen sich noch mit irgendeiner Form der Existenz durchschlagen, doch sie würden keine Photosynthese mehr zustande bringen – sie würden aber Sauerstoff verbrauchen, und ebenso die Mikroorganismen, die tote Pflanzen abbauen.
Derselbe Abschirmungseffekt könnte auch auftreten, wenn es ungewöhnlich viele aktive Vulkane gäbe oder ein großer Meteorit oder Komet auf der Erde einschlüge. Als 1994 der Komet Shoemaker-Levy 9 auf den Jupiter auftraf, entsprach die freigesetzte Energie der von einer halben Million Wasserstoffbomben.
Die ›Bilanz‹ für Einnahmen und Ausgaben an Sauerstoff und die damit zusammenhängende, aber unterschiedliche Kohlendioxid-Bilanz wird noch nicht verstanden. Das ist eine enorm wichtige Frage, denn sie bildet den entscheidenden Hintergrund für die Debatte über globale Erwärmung. Menschliche Aktivitäten wie Elektrizitätswerke, Industrie, die Verwendung von Kraftfahrzeugen oder einfach seinen gewöhnlichen Angelegenheiten nachzugehen und dabei zu atmen, erzeugen Kohlendioxid. Kohlendioxid ist ein ›Treibhausgas‹, welches einfallendes Sonnenlicht wie das Glas eines Treibhauses fängt. Wenn wir also zuviel Kohlendioxid erzeugen, müßte sich der Planet erwärmen. Das hätte unerwünschte Folgen von Flutkatastrophen in niedriggelegenen Landstrichen wie Bangladesch bis zu großen Änderungen in den geographischen Verbreitungsgebieten von Insekten, die die Ernten schwer beeinträchtigen könnten. Die Frage ist: Erhöhen diese menschlichen Aktivitäten tatsächlich den Kohlendioxidgehalt der Erdatmosphäre, oder gleicht der Planet das irgendwie aus? Die Antwort entscheidet darüber, ob man Menschen in hochentwickelten (und sich entwickelnden) Ländern erhebliche Beschränkungen in ihrer Lebensführung auferlegt oder ob man sie wie bisher weitermachen läßt. Gegenwärtig besteht Übereinstimmung, daß es deutliche, wenn auch feine Anzeichen dafür gibt, daß menschliche Aktivitäten tatsächlich den Kohlendioxid-Anteil erhöhen, weshalb mehrere internationale Verträge unterzeichnet wurden, um den Kohlendioxid-Ausstoß zu verringern. (Dieses tatsächlich zu tun, anstatt es zu versprechen, ist etwas ganz anderes.)
Die Schwierigkeiten, Gewißheit zu erlangen, sind vielfältig. Wir besitzen keine guten Aufzeichnungen von früheren Kohlendioxid-Pegeln, daher fehlt uns ein brauchbarer ›Eichpunkt‹, an dem wir die gegenwärtigen Mengen messen können – obwohl wir dank Bohrkernen aus der Arktis und der Antarktis, die eingeschlossene Proben früherer Atmosphären enthalten, allmählich ein besseres Bild gewinnen. Wenn
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