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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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wenn ich hineinsprang. Oder ob es kenterte und ich sang- und klanglos unterginge.
    Ich spürte Charlottes weichen, warmen Körper. Ich spürte meine Lust, meine Blase. Es war nicht zum Aushalten. Der wahnsinnige Druck ließ mich fast platzen. Ich zählte die Sekunden, schaute mich nach Topfpflanzen um, einer Yucca-Palme oder einem Asparagus, aber sie hatte nichts dergleichen. Und ich konnte nicht einfach aus dem Fenster pinkeln. In meiner Verzweiflung bat ich die Madonna dell’Orto, mich zu erlösen.
    Ich weiß nicht, wie ich es bis zum Morgen schaffte. Irgendwann schaute ich auf die Uhr. Halb sechs. Draußen dämmerte es. Der Sturm hatte sich gelegt. Vorsichtig schlüpfte ich aus dem Bett und streifte meine Kleider über. Dann strich ich Charlotte übers Haar und küsste sie auf die Stirn. Ganz still lag sie da, schlummerte friedlich, süß wie ein Säugling. Als ich sie so sah, schien es mir unmöglich, dass sie geschnarcht hatte.
    Halb betäubt vom Druck in mir schleppte ich mich zum Fenster und kletterte auf den Sims. Sollte ich da wirklich hinunterspringen? Was, wenn ich das Ziel verfehlte? Wenn ich im Wasser landete? Auf dem Kanal sah ich die ersten Lastkähne, vollgepackt mit Honig- und Wassermelonen. Fischer fuhren mit ihrem Fang zur Pescheria. Irgendeine Glocke schlug viertel vor sechs. Eine Taube flatterte auf. Im Palazzo rauschte die Spülung. Ich sprang.
    4
    Zwei Monate lang hatte Charlotte den Eisprung. Trotzdem war ich glücklich. Ich hatte eine Freundin, sie war bezaubernd und gab mir alles, was sie geben konnte. Auch wenn wir noch nicht ganz so weit waren, wie ich mir das vorgestellt hatte, waren wir doch auf dem richtigen Weg. Wir unterhielten uns ganz gut. Natürlich redete sie ein bisschen viel, und der Austausch war nicht so tief, nicht so poetisch wie der mit Noemi. Mit Noemi hatte ich auch schweigen können, und es war in Ordnung gewesen. Sie hatte mich verstanden, ohne dass wir sprachen. Doch Charlotte war nicht Noemi. Mit Charlotte durfte man weder schweigen noch still sitzen, es musste gesprochen werden, es musste etwas laufen. Aber Charlotte war da, sie war aus Fleisch und Blut und nicht irgendwo jenseits des Atlantik. Ich mochte ihren britischen Humor, ihre unkonventionelle Art, ihre seltsamen Ticks. Ich mochte ihre Schlagfertigkeit und ihre Schlauheit. Ich war ganz einfach verknallt in sie.
    Deshalb traf es mich umso mehr, als sie mich nach zwei Monaten das erste Mal versetzte. Wir hatten uns wie immer in der Cupido Bar verabredet. Ich wartete und wartete, trank einen Spritz, las die Zeitung, beobachtete die Leute, ging nach draußen und wieder hinein, aber sie tauchte einfach nicht auf. Ich zahlte, suchte eine Telefonzelle und rief sie an. Ihre Mutter kam an den Apparat. Ich fragte sie, ob ich mit Charlotte sprechen könne.
    »Sie ist leider nicht zu Hause«, sagte ihre Mutter mit einem starken Akzent, um nach einer Pause anzufügen: »Sie ist bei ihrem Boyfriend.«
    Ich wollte gerade antworten, dass sie eben nicht bei ihrem Boyfriend sei, als sie fortfuhr: »Bei Gaetano.«
    »Gaetano?«, fragte ich verdutzt.
    »Ja. Tut mir leid. Kann ich ihr etwas ausrichten? Hallo, sind Sie noch da?«
    Gaetano, bei ihrem Boyfriend Gaetano. Das alles musste ein Missverständnis sein. Wortlos hängte ich ein und taumelte die Fondamente Nuove entlang. Ohne zu überlegen, nahm ich das nächstbeste Vaporetto und fuhr planlos in die Lagune hinaus. Von Punta Sabbioni aus versuchte ich mehrere Male anzurufen, aber es war immer besetzt. Später versuchte ich es von Burano aus, von Mazzorbo, Murano, San Michele. Ohne Erfolg.
    In den folgenden Tagen war Charlotte nicht zu erreichen, und ich hatte in der Schule und in der Gelateria so viel zu tun, dass ich nicht vor ihrem Palazzo herumhängen konnte. Die Ungewissheit oder vielmehr die Gewissheit, dass es einen anderen gab, schlugen mir auf die Seele. Ich hatte vier Nächte lang kein Auge zugetan, als sie endlich anrief.
    Sie entschuldigte sich, dass sie sich so lange nicht gemeldet habe. Als ich sie fragte, was los sei, zögerte sie einen Augenblick, rückte dann aber mit der Sprache heraus. Die ganze Zeit über hatte sie noch ein Verhältnis mit Gaetano, einem Studenten der Kunstakademie, gehabt. An den Tagen, an denen sie mich nicht getroffen hatte, war sie mit Gaetano zusammen gewesen und umgekehrt; das alles sei ihr aber über den Kopf gewachsen, und da sie auch noch einen Typen kennengelernt habe, der mit Lampen verliebte Tintenfische anlocke, könne es so

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