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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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der Suche nach einem Nachfolger, der etwas von Eis versteht. Falls Sie das interessiert, kann ich Sie mit ihm bekannt machen.«
    Eine eigene Gelateria. Ich sah alles genau vor mir. Vanille-Türme, Stracciatella-Türme, Pistazien-Türme. Das Gianduiotto als Evergreen. Dazu neue Sorten, neue Aromen, neues Ambiente. Die ideale Lage am Zattere-Quai, der Flaniermeile. Nur ein paar Schritte von meiner Dachkammer entfernt. Ein verlockendes Angebot. Aber würde ich die Lizenz von Enzos Onkel bekommen? Wahrscheinlich würde er einen horrenden Betrag dafür verlangen. Und sich einen richtig erfahrenen Gelatiere als Pächter wünschen.
    »Ein schöner Traum«, sagte ich, »aber ich weiß nicht, ob ich mir das leisten kann.«
    »Ich werde mit meinem Onkel sprechen«, sagte Enzo. »Ich habe den Eindruck, dass das zwischen Ihnen klappen könnte. Natürlich kann ich nichts versprechen.«
    Irgendwo knarrte eine Trittleiter. Dann folgte ein Moment der Stille. Wenn ich am Archiv etwas liebte, dann diese Stille.
    »Lassen Sie es sich in Ruhe durch den Kopf gehen. Ich gebe Ihnen meine Karte. Wenn Sie mit meinem Onkel sprechen möchten, rufen Sie mich einfach an.«
    Ich nickte. Enzo ging, und ich saß noch eine ganze Weile im Büro. Selbst als das Archiv schloss und alle Angestellten gegangen waren, wollte ich noch nicht nach Hause. Ich starrte auf einen geöffneten Karton mit verschnürten Akten und sog den Geruch des alten Papiers ein.
    Ein Ort, wo einem die Vergänglichkeit so richtig ins Gesicht beißt. Ein Ort, wo man Totes am Leben erhält. Wo man die Macht der Toten schützt. Es schüttelte mich.
    Erst kurz vor Mitternacht verließ ich das Archiv und ging im strömenden Regen zum Zattere-Quai. Ein rostender Baukahn schepperte gegen die Eisenstange, an der er festgemacht war. Die Mülltonnen quollen über, eine Katze huschte über das Pflaster. Die Eisdiele war verriegelt und verbarrikadiert. Kaum vorstellbar, dass hier tagsüber etwas los war. Alles wirkte verlassen und trostlos. Hätte ich mich in diesem Augenblick entscheiden müssen, wäre meine Antwort klar gewesen: nein.
    10
    Einige Monate später übernahm ich die Gelateria von Enzos Onkel, und mein Vater sprach zum zweiten Mal in meinem Leben kein Wort mehr mit mir. Für ihn war es eine Idiotie, eine Form von Wahnsinn, dass ich meinen sicheren Staatsposten gegen diesen zweitklassigen Job tauschte. Mit einer solchen Ausbildung Gelatiere zu werden war für ihn völlig unverständlich.
    Ich jedoch war glücklich. Endlich tat ich das, was ich seit meiner Schulzeit hatte tun wollen. Endlich verkam ich nicht mehr in Schimmel und Staub. Endlich war ich mein eigener Chef. Meinen Traum erfüllte ich mit einem Darlehen von Michele. Er stellte mir einen Teil seines Erbes zur Verfügung. Und weil Enzo im Gegenzug meinen Posten am Staatsarchiv erhielt, war der Preis für die Miete der Lizenz verblüffend maßvoll.
    In der Gelateria profitierte ich von den Erfahrungen, die ich bei Pippo gemacht hatte. Ich wusste, welche Sorten liefen und welche nicht, wusste von den Trends zu warmen Aromen wie Schokolade und zu Exoten wie Mango und kannte die Vorliebe der Venezianer für ihr Nougateis. Ich war mir im Klaren, dass man die Atmosphäre gestalten und die Klientel pflegen musste, war mit den Lieferanten von Rialto vertraut, hatte gelernt, mit den verschiedensten Eismaschinen und Eisbüchsen umzugehen und kannte die Tricks, wie man aus einem gewöhnlichen ein außergewöhnliches Eis machte.
    Der Erfolg der Gelateria übertraf alle meine Vorstellungen. Ich investierte viel Zeit und Geld in die Ausstattung und die Einrichtung, hatte schlaflose Nächte, zitterte und bangte, stand unter unheimlichem Druck, aber vom ersten Tag an rannten mir die Leute die Bude ein – Studenten, deren Institute in der Nähe lagen, Touristen, die mit Schnellbooten von Fusina kamen, Mütter mit Kindern, Carabinieri, die eine Pause einlegten, Alte, die mit dem Einkaufswägelchen unterwegs waren, Flaneure, die genüsslich mit einem Cornetto in der Hand die Zattere auf- und abpromenierten. Die neuen Eissorten – Maracuja, Guave und Macadamia – sprachen sich schnell herum, das Gianduiotto wurde in einem Artikel des Gazzettino als das beste Eis von Venedig gefeiert, und die Eisbomben, die man auf Bestellung haben konnte, entpuppten sich als wahre Renner. Auch Klassiker wie Erdbeer, Heidelbeer, Orange und Panna Cotta liefen gut − am besten allerdings lief mein geliebtes Vanille.
    Vor und nach dem Gelatieren musste

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