Die Geliebte des Gelatiere
gerüstet, geputzt und aufgeräumt werden. Alles musste einwandfrei sein. Der Arbeitsplatz hatte blitzsauber zu sein, Putzlappen und Glasreiniger waren genauso wichtig wie Eis und Zange. Neben der Arbeit hinter der Theke war ich mit organisatorischen Aufgaben ausgefüllt. Ich kümmerte mich um Buchhaltung und Personal, um Preise und Termine und hatte kaum noch eine freie Minute. Trotzdem durchströmte mich ein Glücksgefühl, wenn ich die strahlenden Gesichter der Kunden sah. Die Caramelita auf dem Kinn eines Mädchens, die Stracciatella an der Nase eines Jungen, das selbstvergessene Lecken eines Professors an einer Limonenkugel – all das gab mir das Gefühl, das Richtige zu tun. Und wenn die Contessa Rosa Barnabo durch ihren Hausdiener ausrichten ließ, wie göttlich das Gianduiotto gewesen sei, freute ich mich wie ein kleines Kind.
Das Beste an dem Job war, dass Dinge, die verschwommen in meinem Kopf dümpelten, nach und nach Gestalt annahmen, zu riechen und zu schmecken begannen und schließlich in aller Munde waren. Es gefiel mir, nach neuen Aromen zu suchen, zu tüfteln, zu mischen und zu rühren, zu probieren, zu verwerfen und immer weiter zu raffinieren. Bei manchen Kreationen war es ein Degustieren ohne Ende, ein Abwägen und Ablehnen und Wiedererwägen, ein Kampf um Nuancen, Feinheiten, einen Tropfen Amaretto, eine Prise gemahlener Mandeln, bis das filigrane Gefüge stimmte, die Balance ausgewogen, das Eis perfekt war. Wenn mich etwa eine Mischung aus Cassis und Johannisbeeren überzeugte, dann bot ich sie an und fragte die Leute, was sie davon hielten.
Der Zuspruch des Publikums war überwältigend. Abends war ich erschöpft, aber zufrieden. Ich hatte nicht wie im Archiv das Gefühl, das Leben zu verpassen. Ich war da, wo ich hingehörte, mitten im Leben, und ich bekam eine ganze Menge mit. Man traf sich auf einen Eisbecher in meiner Gelateria, und so war ich stets auf dem Laufenden, wer mit wem zusammen war, anbandelte oder gerade ins Geschäft kam. Ich musste weder Zeitung lesen noch fernsehen, sondern schnappte News und Klatsch hinter der Theke auf. Wie einem Coiffeur schüttete man mir das Herz aus, und nicht selten kam ich mir wie ein Seelendoktor vor, wie ein Eispsychiater, der Trostsuchende mit einem Sorbet wieder mit sich selbst und der Welt versöhnte.
Auch finanziell war das Ganze kein schlechtes Geschäft: Schritt für Schritt konnte ich Michele meine Schulden zurückzahlen. Und zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mir überlegen, wie ich mein Geld sinnvoll anlegen sollte.
Was die Gelateria betraf, schien ich ein goldenes Händchen zu haben. Alles, was ich in Sachen Eis anfasste, schien überraschenderweise zu gelingen. Aber ich war noch immer alleine. Seit meinem Erlebnis mit Elisa hatte ich mich aus Liebesdingen völlig zurückgezogen. Ich ließ jede Annäherung, jeden Flirt im Sand verlaufen. Jetzt aber überkam mich mit einem Mal tiefe Einsamkeit. Wenn ich eine Creme raffinierte, fiel ich in ein Loch, wenn ich ein Pärchen bediente, zog sich etwas in mir zusammen. Plötzlich hatte ich einen ungeheuren Hass auf einen schnauzbärtigen Herrn, der jeden Tag zwei Schokoladen-Waffeln für sich und seine Frau kaufte. Zweifellos gab mir der Job als Gelatiere viel, er erfüllte und bereicherte mich, und mein Enthusiasmus hatte endlich ein Ziel. Doch je mehr ich in der Arbeit aufging, umso mehr schien mir, dass ich in der Liebe ein Versager war. Die meisten meiner Mitschüler und Kommilitonen hatten schon geheiratet oder waren in festen Händen. Ich hingegen hatte, außer mit Noemi, noch mit keinem weiblichen Wesen eine halbwegs vernünftige Freundschaft zustande gebracht.
In schlechten Stunden fragte ich mich, ob ich zurückgeblieben war oder der Arbeit zu viel Gewicht verlieh. War das der Schaden, von dem die anderen immer gesprochen hatten, der Schaden, den ich als Einzelkind haben musste?
Auf jeden Fall wurde mir klar, dass in Sachen Liebe etwas geschehen musste. Ich wollte aktiver werden, mich bewegen, die Dinge in die Hand nehmen. Natürlich konnte ich eine Frau, die zu mir passte, nicht einfach aus dem Freezer zaubern. Aber ich konnte mich mehr öffnen. Gelegenheit für Kontakte hatte ich genug. Frauen mochten mich. Sie warfen mir Blicke zu. Bloß merkte ich es nicht. Meist mussten andere mich da-
rauf hinweisen, wenn mir jemand schöne Augen machte. Aber auch das half nichts. Ich verglich alle mit Noemi. Und ich hatte Angst vor neuem Ärger, weiteren Verletzungen, neuem
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