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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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wird.
    »Wunderbar!«
    »Und hier das anonyme Nuovo Modo da farsi ogni sorte di Sorbette con Facilità, mit Rezepten für Milch- und Wassereis. Außerdem haben wir aus einem Vermächtnis auch noch eine Übersetzung eines deutschen Kochbuchs von 1697 erhalten, des Freywillig aufgesprungenen Granat-Apffel Deß Christlichen Samaritans.«
    »Toll«, sagte Enzo.
    »Daran werden Sie viel Freude haben, dieses Buch der Herzogin von Troppau hat einen ganz eigenen Charme. Es spricht vom Eis als Wundermittel gegen alle menschlichen Übel.«
    Er nickte.
    »Im Lesesaal können Sie die Werke in aller Ruhe studieren. Wenn Sie wollen, können Sie im Stichwortkatalog unter Gelato weitersuchen.«
    »Fürs Erste bin ich eingedeckt«, entgegnete er. »Herzlichen Dank für Ihre Hilfe.«
    »Nicht der Rede wert.« Ich bestaunte seine englischen Koteletten. Und sah ihn unverwandt an.
    »Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Thema gekommen?«
    Er kniff die Augen zusammen und schaute mich an, als blende ihn etwas.
    »Oh, das hängt mit meiner Herkunft zusammen«, sagte er. »Meine Familie stammt von Sant’Erasmo. Ich bin auf der Gemüseinsel aufgewachsen. Aber einer meiner Onkel, der auch auf der Insel wohnte, hat eine Gelateria an den Zattere. Am Sonntag fuhren wir immer mit dem Vaporetto an die Zattere, um dort bei meinem Onkel ein Gianduiotto zu essen. Das gehört zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen: die Vorfreude auf diesen Ausflug, der Fahrtwind, der kühle Barren, der Schlagrahm, der verschmierte Mund. Leider sind wir dann nach Padua gezogen, und es war nicht mehr so einfach, bei meinem Onkel Eis zu essen. Aber als ich an der Ca’ Foscari mein Studium begann, nahm ich die alte Sitte des Gianduiotto wieder auf. Nicht nur sonntags, sondern täglich. Die Uni ist ja nicht weit. Und als Historiker ist es naheliegend, irgendwann der Geschichte des Gelato nachzugehen.«
    Ich nickte.
    »Und Sie?«, fragte Enzo nach einer Weile, »wie sind Sie zu Ihrem Traumjob hier gekommen?«
    Ich biss mir auf die Lippe und starrte auf die grüne Gummiunterlage auf dem Schreibtisch.
    »Ich weiß nicht, ob es ein Traumjob ist«, sagte ich schließlich. »Die meisten Anliegen unserer Benutzer sind nicht so spannend wie das Ihre. Da geht es um den Nepotismus von Päpsten, um Vetternwirtschaft oder um Ladenöffnungszeiten. Staatliche Akten halt. Im Schnitt nicht gerade Sachen, die einen vom Hocker reißen.«
    Enzo machte ein Gesicht, als ob er mir das nicht recht glauben wollte.
    »Einige unserer Benutzer sind recht absonderlich, verrückte Bücherwürmer, die sich gegenseitig, ohne mit der Wimper zu zucken, umbringen würden, wenn es darum ginge, den Ruhm irgendeiner Veröffentlichung für sich in Anspruch zu nehmen.«
    Ein Aktenwägelchen ratterte durch den Gang, und ein Luftzug brachte den Geruch von Moder und Schimmel ins Büro.
    »Es ist ein Ort, wo einem die Vergänglichkeit so richtig ins Gesicht beißt. Wenn Sie hier arbeiten, haben Sie ständig diesen Geruch der Zersetzung in der Nase. Mit der Zeit merkt man es nicht mehr, aber er liegt immer in der Luft. Das Archiv ist ein Friedhof des Papiers. Würden wir die Schriftstücke nicht aufbewahren und konservieren, würden sie irgendwo in einem Keller verrotten. Natürlich verrotten sie auch bei uns, nur langsamer.«
    »Aber so ein Archiv birgt doch auch einen ungeheuren Schatz an Erfahrungen und Leben«, warf Enzo ein.
    »Sicher«, erwiderte ich, »unsere Aufgabe ist es, Totes am Leben zu erhalten, die Macht der Toten zu schützen. Mitunter ein mühsames Geschäft – man ist immer umzingelt von Totem.«
    Ich knipste das Leselämpchen aus. Draußen im Gang klackte der schwere Schlüsselbund eines Mitarbeiters mit unzähligen Schlüsseln zu unzähligen Magazinen. Ich fragte mich, was mich am Archiv störte. Es war der Geist, der hier herrschte, die vielen kleinen Schildchen, die überall hingen, die tausend Gebote und Verbote. Sogar auf dem Klo stand Fenster bitte nicht öffnen. Diese Abschottung machte mich wahnsinnig. Dieses Bedürfnis nach pedantischer Ordnung, nach perfekter Klassifizierung. Aber das konnte ich Enzo natürlich nicht erzählen.
    »Manchmal sehne ich mich in die Gelateria zurück. Nach frischer Luft. Weniger klösterlichen Mauern. Anderen Gerüchen.«
    Es entstand eine Pause. Enzo schaute mich nachdenklich an.
    »Mein Onkel hört in einem halben Jahr in der Eisdiele auf«, sagte er. »Er möchte die Lizenz für die Gelateria nicht verkaufen, würde sie aber gerne vermieten. Er ist auf

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