Die Geliebte des Gelatiere
Aber das konnte ich nicht. Das konnte ich Elisa nicht antun. Doch sollte ich hier Wurzeln schlagen und für den Rest meines Lebens auf diese Wollsocken starren? Ich musste etwas sagen, irgendetwas musste mir doch einfallen. Aber mir fiel nichts ein. Was hätte ich auch sagen sollen? Blieb mir etwas anderes übrig, als zu ihr ins Bett zu steigen? Nur, was sollte ich dort? Mit ihrem vorwitzigen Schamhaar spielen? Warten, bis ich mich erholt hatte?
Zögernd ging ich zu ihr hin. Als ich bei ihr war, packte sie mich, zog mich zu sich herab und begann, mich leidenschaftlich zu küssen. Entschlossen zog sie mir die Kleider vom Leib. Ich schloss die Augen. Als ich sie einen Augenblick öffnete, sah ich ihren üppigen Busen und die blauen Wollsocken. Was machte ich hier eigentlich? Während sie sich an meinem Glied zu schaffen machte, fasste ich den Entschluss, mich schlafend zu stellen, um sie zu ermüden, und dann, wenn sie eingeschlafen war, stillschweigend zu verschwinden.
Heftig umzüngelte sie meine Eichel, während ich ihre Schenkel tätschelte, wie man ein Pferd tätschelt. Da die Bemühungen ihrer Zunge Schiffbruch erlitten, führte sie meine Hand und meinen Kopf an ihre Scham. Ich tat, was sie erwartete. Als sie kam, zogen sich in den Wollsocken ihre Zehen zusammen.
Dann kuschelte sie sich fest an mich. Während sie mein Gesicht mit feuchten Küssen übersäte, gähnte ich mehrmals und stellte mich schlafend. Nach einer Weile hatte sie genug, gähnte auch und schloss die Augen. Als ich sicher war, dass sie schlief, öffnete ich die meinen und starrte zum Dachbalken.
Elisa atmete ganz ruhig. Auf ihrem Gesicht lag ein entspannter Ausdruck. Ihre Arme hatten mich fest im Griff. Vorsichtig löste ich mich aus der Umklammerung, suchte meine Kleider zusammen und zog mich an. Behutsam bettete ich Elisa unter das Laken, so dass die Wollsocken nicht mehr zu sehen waren.
9
Ich bewarb mich bei verschiedenen Stellen, und ich wusste nicht, war es Glück, Zufall oder waren es Pippos Beziehungen, auf jeden Fall erhielt ich die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters am Staatsarchiv. Mein Vater war stolz auf mich – einer dieser sicheren, begehrten Staatsposten war genau das, was er sich für mich erhofft hatte. Seit langer Zeit war er wieder einmal gesprächig und bester Laune, selbst die Menschenmassen auf dem Vaporetto konnten seiner Stimmung nichts anhaben. Archivio di Stato – das ließ sich erzählen.
Ich wusste nicht, ob ich mich wirklich freuen sollte. Die Vorstellung, in einem Archiv zu arbeiten, löste bei mir nicht gerade Freudensprünge aus. Ich verband damit etwas Verstaubtes, Weltfremdes. Meinen geliebten Job in der Gelateria konnte ich mir damit abschminken. Aber ich musste auch froh sein: Die Stellen für Geisteswissenschafter waren dünn gesät, und im Gegensatz zu vielen anderen hatte ich etwas gefunden.
Also stellte ich mich darauf ein und versuchte, das Beste da-
raus zu machen. Auch die reizloseste Tätigkeit entwickelt ja einen gewissen Reiz, wenn man sich nur lang genug bemüht und sich ganz in die Aufgabe schickt. Das Arbeitsklima im Archiv war gar nicht einmal so übel. Der Direktor war ein kauziger, aber charmanter und gewitzter Mann, ein Gentleman durch und durch. Seine Assistentin, Dottoressa Falier, war eine so liebenswürdige wie belesene Person, die eine Begeisterung ausstrahlte, als arbeitete sie am verführerischsten Ort der Welt. Auch die anderen Archivare waren angenehm. Bei den Angestellten gab es den einen oder anderen verschrobenen Kerl, schrullige Eigenbrötler mit Ärmelschonern und düstere Schweiger mit buschigen Schnurrbärten, aber solche Typen gab es wohl in jedem Archiv.
Meine erste Aufgabe bestand darin, die Beziehungen Venedigs zum Orient aufzuarbeiten, ein Inventar der Orient-Archivalien zu erstellen und, nach Stichworten geordnet, eine Kartei anzulegen, mit der man sich im Thema zurechtfinden konnte. Da mich der Orient schon immer fasziniert hatte, war das nicht allzu langweilig. Allerdings stellte mich das Entziffern der alten Handschriften vor ziemliche Probleme. Das Entschlüsseln von geschwungenen Buchstaben mit Schleifen und Schlingen, das Erkennen von verschnörkelten Majuskeln, das Dechiffrieren von rätselhaften Illuminationen erforderte nicht nur viel Geduld, sondern auch den Spürsinn eines Sherlock Holmes. Nach einiger Zeit ging mir das Exzerpieren aus vergilbten Folianten auf den Geist. Es war eine Sisyphus-Arbeit, und ich fürchtete, selber wie einer
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