Die Geliebte des Gelatiere
erwartet. Immerhin stand sie nun in meiner Gelateria, wenn auch mit grimmigem Gesicht. Ich bat sie, sich zu beruhigen und bot ihr meine »Frutti dimenticati« an – einen Eisbecher mit Azerapfel, Kornelkirsche, Biricoccoli, Mispeln und einem Schuss Likörwein. Trotz allem hatte die Neugier sie in die Eisdiele geführt, und auch wenn sie verärgert war, so wusste sie nun doch, was das für ein unmöglicher Kerl war, der ihr einen so unmöglichen Brief geschrieben hatte.
Das Eis schlug sie nicht aus. Ich bereitete es mit aller Liebe zu. Die »Frutti dimenticati« hatten mich schon einmal aus einer heiklen Situation gerettet. Und tatsächlich: Als ich ihr das Eis servierte, leckte sie erst widerwillig daran, beruhigte sich dann aber Löffel um Löffel. Die Mischung mit dem »Vino passito« schien ihr zuzusagen. Je mehr das Mürrische aus ihren Zügen wich, desto mehr kam wieder die Anmut zum Vorschein, mit der sie in der Diskothek getanzt und mich bezaubert hatte – wie elegant sie den Löffel hielt, wie süß sie an den Kugeln schabte, wie genüsslich sie das schmelzende Eis auf der Zunge zergehen ließ, all das ließ mein Herz höher schlagen. Es war eine Freude, ihr beim Essen zuzusehen. Mir hatte ich ein Haselnusseis mit Quark, kandierten Früchten und einem Früchtekompott zubereitet.
Paolina taute nach und nach auf. Sie schaute mich an und schüttelte den Kopf.
»Wie kann ein Mann wie du nur eine solche Aktion starten?«, fragte sie ungläubig. »Findest du das nicht ein wenig pubertär?«
»Pubertär?«
»Ja. Du führst hier eine Gelateria, trägst Verantwortung, und dann verhältst du dich mir gegenüber wie ein siebzehnjähriger Teenager.«
»Ich glaube nicht, dass ich mich wie ein Teenager verhalten habe«, sagte ich. »Ist es pubertär, einen Brief zu schreiben?«
»Nein, natürlich nicht, aber du hättest mich ansprechen können.«
»Und wenn ich das nicht konnte?«
»Aber das wäre doch viel einfacher gewesen. Das kann jeder!«
»Nein, das kann nicht jeder. Ein gutes Vanilleeis kriegt auch nicht jeder hin. Außerdem sind wir uns seit dem Abend in der Diskothek nie mehr begegnet.«
Ich hatte ihr einen netten Brief geschrieben und wollte sie kennenlernen, mehr nicht. Was sollte daran falsch sein?
»Ist es erwachsen, so genervt auf so einen Brief zu reagieren?«
»Willst du etwa sagen, dass ich mich nicht aufregen soll, wenn mich mein Exfreund an einen anderen weiterverschachert?«
Ich schwieg. Pietro hatte mir nur ihre Adresse zugesteckt. Und wenn das mein Leben war, dann konnte ich ihr so viele Briefe schreiben, wie ich wollte. Aber sie konnte es sich offensichtlich leisten, die Zicke raus hängen zu lassen.
»Nein, das will ich nicht sagen«, entgegnete ich, »aber vielleicht ist es tatsächlich so, dass Schönheit den Charakter verdirbt.«
Es entstand eine Pause. Sie schaute mich mit großen Augen an. Ich nahm an, dass unsere Unterhaltung damit beendet war.
Aber ich täuschte mich. Nach der ersten Überraschung lachte sie laut auf.
Merkwürdig, dachte ich. Ging ich auf sie zu, wollte sie nichts von mir wissen, griff ich sie an, strahlte sie wie ein Honigkuchenpferd. Immerhin war das Eis nun gebrochen. Sie lobte die »Frutti dimenticati«, die Biricoccoli hatten es ihr angetan.
»Wo hast du dieses wunderbare Rezept her?«, fragte sie.
»Ich bin ein Tüftler«, sagte ich. »Ich probiere alles aus. Manchmal muss ich aufpassen, dass ich mir nicht den Magen verderbe, so viel Eis esse ich, um meine Kreationen zu raffinieren. Und ich besitze Kochbücher aus Großmutters Zeiten, aus denen man einiges lernen kann.«
Sie zog sich eine Zigarette aus dem Handtäschchen. Ich gab ihr Feuer. Für einen Moment starrten wir beide auf das Flämmchen.
»Diese Biricoccoli zum Beispiel«, fuhr ich fort, »sind eine Kreuzung aus Aprikose und Pflaume. Vielleicht etwas mehr Pflaume. Ein erfrischendes, aber auch verwirrendes Arom. Damit lässt sich jeder Gaumen kitzeln.«
»Dann bist du ein professioneller Gaumenkitzler?«
»Na ja …«
»Ein zuckersüßer Zwischenaromatiker?«
Ich musste lachen.
»Ein mit allen Wassern gewaschener Zungencasanova?«
»Nicht ganz so schlimm.«
»Aber du scheinst dir ziemlich viel überlegt zu haben, wie du dein Geschäft aufziehst.«
»Überhaupt nicht«, sagte ich. »Ich stelle mir einfach vor, in was für eine Gelateria ich gerne gehen würde und was für Eis ich dort essen möchte. Ich hätte keine Lust auf Nullachtfünfzehneis von einem Großverteiler. Ich hätte
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