Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Berge hinauf wanderte, umso unwirtlicher wurde die Gegend. Der
Wald wurde immer lichter, die Pflanzen immer kleiner, bis bald nichts mehr um
mich war als moosbedecktes Geröll und Steine, zwischen denen Flechten und
Hochlandkräuter hervor lugten.
Das viele Laufen auf steinigem und unebenem Boden
war für meine Füße weit anstrengender als der Marsch über Wiesen und Moos, und
sie meldeten sich bei jedem einzelnen Schritt mit stechenden Schmerzen zu Wort.
Ich musste immer längere Pausen machen. Zu allem Überfluss kündigten dunkle
Wolken einen Regenguss an und ich sah keine Möglichkeit, einen Unterschlupf zu
finden. Es regnete schließlich auf mich herab und meine Schuhe weichten immer
mehr auf. Bei jedem Schritt machten sie ein „füpff“- und ein „gwuck“-Geräusch
und das Wasser quoll an den Seiten heraus. Ich hatte das Gefühl, in einer Gallertmasse
zu laufen und fand nur schlecht Halt. Das führte dazu, dass das Leder der
Schuhe mehr und mehr an meiner Haut schabte und diese sehr bald aufgerieben
war. Die Füße waren ohnehin zerschunden und würden niemals mehr so
schmerzunempfindlich sein wie früher. Doch diese Schmerzen wurden mit
jedem Schritt schlimmer. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und musste
mich setzen.
Erschöpft ließ ich mich auf einem größeren Stein
nieder. Die Tränen in meinen Augen vermischten sich mit dem Regen, der auf mein
Gesicht fiel. Ich hatte keine Kopfbedeckung und hatte auch nicht daran gedacht,
eine anzufertigen, als mir die Natur dazu noch geeignete Materialien zur
Verfügung gestellt hatte.
Vorsichtig zog ich die Schuhe von den Füßen. Das
Wasser hatte sich mit Blut vermischt und war bei jedem Schritt an die Knöchel
gespritzt. Es sah aus, als bluteten bereits meine Beine und der Anblick der
Zehen war beinahe so schlimm wie ganz am Anfang, als ich sie das erste Mal nach
meiner Rettung aus dem Schnee angesehen hatte. Wundgerieben durch das nasse
Leder hätte man meinen können, der ganze Fuß wäre ohne Haut, aber als der Regen
auf meine Füße tropfte und das Blut langsam wegwusch, stellte ich mit großer
Erleichterung fest, dass nur einzelne Stellen blutig gelaufen waren.
Suchend sah ich mich um. Außer Steinen, Moos und
Grasbüscheln war nichts zu sehen. Das letzte Haus, das ich gesehen hatte, lag
schon mehrere Stunden hinter mir im Tal. Ich war weit gekommen, doch noch immer
hatte ich nicht den Bergkamm erreicht, von dem aus es auf der anderen Seite
wieder bergab ging. Ich wusste ohnehin nicht genau, ob ich auf dem richtigen
Weg war. Alleine der Gedanke, Bao hinter der Bergkette zu finden, trieb mich
an. Die Pause dauerte nun schon länger und ich beschloss, mich weiter
durchzukämpfen. Die Schuhe zog ich gar nicht mehr an. Sie würden meine Haut nur
noch mehr aufreiben und das wollte ich unbedingt vermeiden.
„Komm! Weiter!“, trieb ich mich an. „Du schaffst
das! Du hast es bis hierher geschafft, du hältst auch noch weiter durch.“
Ich biss mir auf die Unterlippe und stand auf.
Schmerzen durchzuckten mich, doch ich ignorierte sie, so gut es ging. Die
Schuhe hatte ich an meinen Rucksack gehängt; vielleicht würde ich sie später
noch brauchen, wenn die Haut an den Knöcheln sich wieder beruhigt hatte.
Ein Gefühl ließ mich zurückblicken – bergabwärts.
Am östlichen Horizont sah man blauen Himmel. Die Regenwolken würden bald
vorüber gezogen sein und dann würde wieder die Sonne scheinen. Ich erhoffte mir
dadurch eine Erleichterung und machte mich frischen Mutes an den weiteren
Aufstieg. Doch kaum war die Sonne durchgebrochen, stand ich vor einer neuen
Herausforderung: Die Frühlingssonne war hier oben in den Bergen viel stärker
als ich gedacht hatte und brannte erbarmungslos auf meinen bloßen Kopf.
„Was gäbe ich für eine Kopfbedeckung“, keuchte ich
atemlos. Immer öfter ertappte ich mich dabei, wie ich Selbstgespräche führte
und merkte, dass ich damit die absolute Einsamkeit zu verdrängen suchte.
„Du bist selbst Schuld. Das war ja auch ein vollkommen
überstürzter Aufbruch.“
„Ich hätte es aber keinen Tag länger dort
ausgehalten. Wie kannst du mir daraus einen Vorwurf machen?“
„Ich mache dir doch keinen Vorwurf. Aber sieh dich
doch an! Deine Füße sind noch nicht stark genug für solch eine Reise. Du weißt
ja noch nicht einmal, wohin du gehen musst.“
„Ich konnte nicht wissen, dass es so feucht werden
würde.“
„Dann bist du naiver, als ich dachte.“
Ich ärgerte mich über mich selbst. „Du bist
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