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Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
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erzählt?
    Nein! In den Palast konnte und wollte ich nicht zurückkehren.
Oft dachte ich an Bao und an den Krieg und daran, dass ich ihn vielleicht nie
wieder sehen würde. Die Gedanken drehten sich im Kreis und ich sah keinen Ausweg.
Mein Zorn wurde immer größer. Am Morgen wachte ich auf und wusste plötzlich mit
absoluter Sicherheit: Den Sohn hatten sie mir genommen, aber den Mann würde ich
mir nicht nehmen lassen! Ich erhob mich und gesellte mich zu Itosu, der bereits
auf der Terrasse saß und mit geschlossenen Augen die Stille genoss.
    „Ich möchte gerne gehen.“ Kniend hatte ich Platz genommen.
    Itosu bewegte sich nicht.
    „Habt Ihr gehört? Ich werde fortgehen.“
    „Ich weiß“, sagte der alte Mann. „Ich spüre es,
seit ich mit diesen Neuigkeiten zurückgekommen bin.“ Er öffnete die Augen und
sah mich an. „Wohin werdet Ihr gehen, Min-Tao?“
    Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich begriff,
dass er mich bei meinem Namen genannt hatte. „Ihr wisst, wer ich bin?“
    Itosu lächelte. „Das weiß ich bereits vom ersten
Tag an.“
    „Warum habt Ihr nichts gesagt?“
    „Warum habt Ihr es nicht gesagt?“, konterte
er.
    Ich dachte nach und zog die Schultern hoch: „Ich
wusste nicht, ob Ihr mich zurückbringt. Ich will nicht zurück in den Palast.“
    „Wollt Ihr den Jungen nicht sehen?“
    „Nein. Es geht ihm ohne mich besser. Ich könnte es
nicht ertragen, ihn nicht für mich zu beanspruchen; und man würde uns töten,
wenn es herauskäme. – Nein, ich kann und will nicht zurück.“
    „Wohin wollt Ihr also?“
    Lachend sah ich auf und zitierte meinen geliebten
Meister: „Soweit meine Füße mich tragen!“
    Itosu nickte und schloss erneut die Augen.

29    ÜBER DEN BERG
     
     
    Im Hause Itosu, Ende 4. Mondmonat 1076
     
    „Ich werde Euch vermissen, Meister Gishin. Habt
Dank für alles, was Ihr für mich getan habt.“ Ich umarmte den alten Mann und
fühlte seine sehnigen Arme, als er mich an sich drückte.
    „Es war eine schöne Erfahrung, Euch kennen gelernt
zu haben, liebe Min-Tao“, sagte er. „Passt gut auf Euch auf, und vor allem:
Glaubt an Euch! Alles, was Ihr Euch vorstellen könnt, kann in Erfüllung gehen.
Achtet also auf Eure Gedanken!“
    Ich nickte und verbeugte mich, bevor ich ging.
     
    Die letzten Tage in Itosus Haus hatte ich dazu
genutzt, einen Rucksack aus Leder zu nähen, meine Gewänder fertig zu stellen
und auf das zweite Paar Buntschuhe zu warten, welches Itosu für meine Reise
herstellte.
    Welchen Weg ich einschlagen musste, wusste ich
nicht; ich wusste nur, dass ich am Ende dieser Reise in Baos Armen liegen
wollte, egal wie. Hauptsache, ich konnte bei ihm sein, um meinem Leben und
Leiden einen Sinn zu geben.
    Die Erfahrungen der letzten Monate hatten mich
sehr verändert. Dies war mittlerweile mein einundzwanzigster Frühling und
manchmal hatte ich das Gefühl, schon uralt zu sein. Ich hatte einen Sohn, den
ich nicht sehen konnte, einen Mann, den ich erst wieder finden musste und einen
versehrten Körper. Meine Füße waren für immer gezeichnet, doch ich konnte sie
wieder benutzen und darüber war ich glücklich. Den Gedanken, ob ich den langen
Weg, der mir bevorstand, zu Fuß überhaupt bewältigen konnte, verdrängte ich und
hielt mir stets vor Augen, dass ich es schaffen musste – unbedingt schaffen
wollte.
     
    Mein Weg führte mich Richtung Westen, denn ich
wusste, dass ich dort irgendwo Bao finden würde. Die Gegend war hügelig, in der
Ferne sah ich eine Ansammlung höherer Berge. Mein Weg führte durch Wälder und
nur selten kam ich in freie, grasbewachsene Ebenen. Dort befanden sich dann
meist Häuser von Bauern, und da ich unentdeckt bleiben wollte, hielt ich mich
vorwiegend im Schutze der Bäume.
    Den ersten Tag kam ich gut voran. Meine Füße taten
mir einen guten Dienst und ich machte genügend Pausen, um ihnen Entspannung zu
bieten. Die Frühlingssonne war schon sehr kräftig, der Schnee komplett
verschwunden und der Boden war nicht mehr so aufgequollen von den
Schmelzwassern wie noch wenige Wochen zuvor. Wenn es regnete, versteckte ich
mich unter den Bäumen, die mich einigermaßen vor der Nässe schützten. Ich
wartete, bis die Sonne wieder zum Vorschein kam, damit ich meinen Weg weiter
bestimmen konnte. Die Nächte verbrachte ich ebenfalls im Schutze der Bäume.
Sehr bequem war das nicht, doch das Ziel, das ich vor Augen hatte, ließ mich
durchhalten.
     
    Nach drei Tagen war ich bei den hohen Bergen angekommen.
Je höher ich die

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