Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Traum gebracht hatte.
Er war hin- und hergerissen zwischen Freude
einerseits bei dem Gedanken daran und Trauer andererseits, dass er nicht bei
ihr sein konnte. Plötzlich durchzuckte ihn ein anderer, schrecklicher Gedanke.
Himmel! Dann schwebt sie in Lebensgefahr! Inständig hoffte er, dass sie bei Shenzong
gelegen hatte, auch wenn er diesen Gedanken hasste. Er wusste genau, dass sie
nicht lange würde überleben können, wenn herauskam, dass sie von einem anderen
Mann schwanger war!
Der Morgen graute bereits und Bao erhob sich. Er
musste sich ablenken und setzte sich an den letzten Brief, den er von Li Sawing
erhalten hatte.
Nachdem man Ketùn abgewiesen hatte, hatte Bao erneut
versucht, schriftlichen Kontakt mit Li Sawing aufzunehmen und offenbar war ihm
das auch gelungen. Zumindest hatte er Briefe erhalten, die mit Li Sawings
Siegel gekennzeichnet waren. Doch Siegel hin oder her – wer konnte schon
bezeugen, dass er tatsächlich von dem benachbarten Herrscher stammte; und
selbst wenn das der Fall gewesen wäre, so änderte es nichts an dem generell
negativen Ton, der von den Briefen ausging. Bao hatte nichts weiter erreichen
können als die stete Wiederholung einer Absage an die Vereinigung von Xia und
Song. Bao legte den Brief seufzend zur Seite und nahm die aktuelle Nachricht
seines Kanzlers zur Hand.
„Wir müssen handeln“, bestimmte Wang Anshi
dort. „Wenn es das Wetter erlaubt, werdet Ihr die Grenzen überschreiten. So
will es Shenzong und ich hoffe, wir müssen keinen weiteren Winter verstreichen
lassen. Der Feind darf nicht allzu sehr erstarken. Aber das muss ich Dir ja
nicht sagen…“
Bao lachte leise in sich hinein. „Wie immer tut
Ihr es trotzdem.“
„Berichte mir also demnächst “, las er
weiter , „wie es jenseits der Grenze aussieht und informiere mich stets über
die neuesten Erkundungen.“
„Ihr wiederholt Euch!“, brummte Bao. Seufzend nahm
er einen Bogen Papier und griff nach der Tinte. Diese Berichte hielten ihn
immer sehr auf und passten ihm gar nicht in den Kram. Warum nur konnte man ihn
nicht einfach machen lassen? Man hatte ihm freie Hand versprochen. Von
regelmäßigen Berichten war nicht die Rede gewesen, doch Bao legte keinen großen
Wert auf die Anwesenheit des Kaisers oder des Kanzlers und versorgte die beiden
lieber mit Berichten, bevor sie auf die Idee kamen, hierher zu reisen.
„Verehrter Kanzler“, schrieb er also. „Es
wird Euch freuen, zu erfahren, dass wir in den letzten Wochen mehrmals die
Grenzen überschritten, und sie sogar westwärts verlegt haben. Weit und breit
ist von feindlichen Soldaten nichts zu sehen gewesen und fast erschien es, als
rechnete Xia nicht mit einem Angriff unsererseits.
Wir trafen auf ein paar Bauern, die eher
überrascht über unsere Spähtrupps waren. Natürlich bin ich nicht mit dem
kompletten Heer eingefallen, denn das wäre der Sache sicher nicht dienlich.“
Bao sah von seinen Zeilen auf. „Im Grunde genommen
wäre es eine unangemessene Zeitverschwendung, sämtliche Männer nach Westen
ziehen zu lassen“, murmelte er. So wie er es einschätzte, war die Anwesenheit
der zigtausend Soldaten in dieser Angelegenheit mehr als übertrieben. Doch man
konnte nie wissen, ob Xia nicht irgendwo ein großes Heer versteckt hielt. Bis
jetzt deutete allerdings nichts darauf hin.
„Xia gleicht einer schlafenden Schönheit “,
fuhr er fort, „die in einem tiefen Traum versunken ist.“
Diese Zeilen sollten fürs erste genügen. Morgen
würde der Spähtrupp wieder ein weiteres Stück des inneren Reiches erforschen
und man würde sehen, was dabei herauskam.
Der Sommer war vorübergegangen. Der
Tanguten-Kaiser hatte seine Bitte um diplomatische Gespräche weiterhin
abgelehnt und so hatte Bao seinem Kaiser nichts weiter zu berichten, als ein
paar erfundene Angriffe auf feindlichem Boden und der Tatsache, dass die Grenze
zu Xia immer weiter nach Westen rutschte, weil niemand sie aufhielt.
Was Bao nicht wissen konnte: Hinter Li Sawings Hassbriefen
steckte eigentlich Mi Kejian; und Li Sawing seinerseits wunderte sich immer
mehr über die feindlichen Antworten auf seine Einladungen zu diplomatischen
Gesprächen.
„Was will der Mann noch?“, fragte er seinen
Kanzler. „Ich kann nicht mehr anbieten, als mit ihm zu sprechen. Warum reagiert
er darauf nicht?“
„Wenn Ihr mich fragt, mein Kaiser“, säuselte Mi
Kejian, „dann ist jede Mühe, friedlich zu einer Lösung zu kommen, verschwendete
Energie. Lasst uns
Weitere Kostenlose Bücher