Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
getrockneten Blätter
zusammen und goss sie mit heißem Wasser auf. Von der herb duftenden Flüssigkeit
nahm sie die Hälfte ab, ließ sie abkühlen und vermischte sie mit Entenfett. Die
Masse, die daraus entstand, schmierte sie auf den prallen Bauch und massierte
sie in die Haut ein, so gut es ging. Shinlan stöhnte bei jeder Berührung, war
aber so tief im Delirium, dass sie sich nicht allzu sehr wand.
Den restlichen Sud flößte man ihr immer wieder
schluckweise ein und nach mehreren Stunden des Wartens und Leidens kam der
Körper in Bewegung. Shinlan öffnete mit einem Mal weit die Augen und setzte
sich schreiend auf. Es war tief in der Nacht und die meisten Frauen waren
schlafen gegangen. Bei diesem Schrei allerdings waren alle hellwach und rannten
hinaus, um sich in Shinlans Wohnung zu versammeln. Cheng-Si verwehrte ihnen jedoch
den Zutritt zum Schlafgemach, also nahmen sie alle in Shinlans Wohnzimmer
Platz.
Der Sud hatte bewirkt, dass der schwangere Körper
der Mutter den toten Körper des Kindes abstieß und austreiben wollte. Shinlan
hatte die Wellen, in denen die Schmerzen kamen, kaum unter Kontrolle und war
nach Tagen hohen Fiebers binnen kurzer Zeit noch erschöpfter als zu Anfang. Es
dauerte weitere Stunden, bis klar war, dass der geschundene Leib aus eigener
Kraft nicht weiter kommen würde. Also entschied sich die Hebamme zu einem drastischeren
Schritt. Sie ölte sich die Hand und den Arm bis zum Ellenbogen ein und glitt in
Shinlans Körper hinein. Von außen sah man, wie sie sich vortastete und nach dem
richtigen Weg suchte. Der Sud hatte den Gebärmuttermund schon geöffnet und als
die Hebamme bei der Fruchtblase angekommen war, platzte diese auf und der
stinkende Inhalt floss aus Shinlans Körper heraus. Spätestens jetzt wusste man,
dass das Kind schon mehrere Tage tot war.
Die Hebamme ergriff einen der Embryofüße und zog
leicht daran. Shinlan schrie auf und Cheng-Si eilte zu ihr hin. Es bedurfte
großer Kraft, die Frau zurückzudrücken und zu halten, bis die Hebamme den
kleinen Körper unter einem letzten Schrei der Mutter herausgezogen hatte.
Das graue Knäuel war handtellergroß. Cheng-Si wollte
es sofort wegbringen lassen, doch die Hebamme bestand darauf, es Shinlan zu
geben: „Sie muss sich verabschieden können.“ Also wurde der kleine Körper in
ein Tuch gewickelt und Shinlan auf die Brust gelegt.
„Hier, Shinlan, hast du deinen Sohn!“ Cheng-Si
streichelte der jüngeren Frau den Kopf und küsste ihr die Stirn. Doch Shinlan
war inzwischen in eine Ohnmacht gefallen, aus der sie nicht wieder erwachte.
Ein Tumult war am Hofe ausgebrochen. Die Nachricht
von Shinlans Tode hatte nicht nur unter den Frauen für große Aufregung gesorgt,
denn plötzlich stand das Gerücht im Raume, Suan-Jen habe Shinlan aus Eifersucht
vergiften lassen. Es war zu hitzigen Debatten gekommen, die schließlich auch in
der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Suan-Jen hielt den Anfeindungen und dem
Druck nicht lange stand und flüchtete schließlich Richtung Dongjing, um von
dort weiter nach Osten, in ihr geliebtes Winterdomizil, zu ziehen.
Shinlan hatte derweil ihre letzte Ruhe weit
entfernt von Qin erhalten. Shenzongs Mausoleum Yongyu befand sich neben
den Mausoleen seiner Vorfahren. Keine der Frauen war jemals auf dem Grabgelände
der Song gewesen. Auch an Shinlans Bestattung durften sie nicht teilnehmen. Es
waren die Minister und Priester, die Shinlan zusammen mit Shenzong zu Grabe trugen.
Die gesamte Grabstätte war sehr groß und es gab bereits
mehrere Mausoleen. Die des Kaisers lag am anderen Ende. Der Trauerzug ging
angeführt von den Priestern und Shenzong den heiligen Weg entlang,
vorbei an verschiedenen Menschen- und Tierskulpturen, bis sie an die Mauern des
Mausoleums kamen. Shinlan würde in einem Nebengrab außerhalb des Mausoleums
begraben werden. Von ihrem Grab aus konnte man das Tor zum Mausoleum selbst
sehen und hatte einen Blick auf die beiden Steinlöwen, die den Eingang bewachten.
Da Shinlan nicht die Hauptfrau war, zog sich die Zeremonie nur über die frühen
Morgenstunden und nicht über einen ganzen Tag hin. Still wurde der tote Körper
begraben, begleitet vom Duft der Räucherstäbchen, die es der Seele erleichtern
sollten, sich vom Körper zu lösen und sich für das nächste Leben vorzubereiten.
***
Nachdem Suan-Jen den Palast verlassen hatte,
beruhigte sich die Lage ein wenig. Alle Frauen waren mit sich selbst
beschäftigt und daher fiel es niemandem auf, dass ich
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