Die Geliebte des Kosaken
Realität geworden. Sie hatte Schritte unternommen, jetzt würde sie genau planen und klug handeln müssen. Ihr Gepäck, das Marfa sicher schon geöffnet und ausgepackt hatte, musste wieder für die Reise gerichtet werden. Sie würde warme Kleidung benötigen, den Pelz mitnehmen, Stiefel, Handschuhe, den Muff … Ach, und vor allen Dingen würde sie Geld brauchen, um die Reisekosten zu bezahlen.
Sie grübelte. Die Großmutter hatte sie zwar mit einer nicht unbeträchtlichen Summe versorgt, doch würde das für die lange Fahrt reichen? Zumal sie sicher auch Geld brauchen würde, um Olegs Lage im Kerker zu erleichtern – möglicherweise konnte sie ihn sogar freikaufen?
Sie dachte an den Schmuck, der in einer Schatulle im Stadthaus aufbewahrt wurde und ihrer Großmutter gehörte. An das silberne Tafelgeschirr und andere kleinere Gegenstände aus Edelmetall, die sie zu Geld machen könnte. Oh, es war sicher nicht recht, das zu tun – aber schließlich ging es um Oleg. War das Leben eines geliebten Menschen nicht unendlich viel mehr wert als einige Schmuckstücke und ein paar silberne Löffel?
Sie war kaum in den Hausflur getreten, da kam ihr Marfa schon aufgeregt entgegengelaufen. „Gott sei gelobt, dass Ihr wieder hier seid, Herrin“, stöhnte sie erleichtert. „Fürst Berjow hat einen Boten geschickt, er wartet im Vorzimmer.“
Auch das noch, dachte Natalja, während sie Marfa Hut und Schal reichte. Will er etwa herausfinden, ob ich ihm gehorcht habe, dieser falsche Geschichtenerzähler?
Der Bote war ein Soldat, ein älterer Mann mit buschigen Augenbrauen und einem gewaltigen grauen Schnurrbart. Er nahm Haltung an, als Natalja ins Vorzimmer eintrat, und reichte ihr ein Schreiben. „Der Fürst wartet auf Antwort, Comtesse.“
„Schon gut.“ Sie riss ungeduldig das Siegel auf und entfaltete den Brief. So kurz das Schreiben war, so ärgerlich war es auch.
Sehr verehrte Natalja Iwanowna,
in der Hoffnung, dass dieses Schreiben Sie noch in St. Petersburg erreicht, wünsche ich einen glücklichen Verlauf Ihrer Heimreise und entbiete meiner lieben Elisaweta Antonowna die besten Grüße.
PS: Ich hoffe inständig, dass Sie von weiteren Besuchen bei A. S. D. Abstand nehmen werden – vor allem im Interesse Ihres guten Rufs und dem Ihrer Familie.
Ossip Arkadjewitsch Berjow
Natalja musste den zweiten Satz noch einmal lesen, dann erst begriff sie. Es war ganz und gar unglaublich, aber Fürst Berjow schien sie tatsächlich beobachten zu lassen, denn er wusste von ihrem Besuch bei Dorogin am gestrigen Abend. Was für eine Unverfrorenheit! Der Zorn stieg so heftig in ihr auf, dass sie kurz davor war, den Brief in ihrer Hand zu zerfetzen. Wer gab ihm das Recht dazu? War sie vielleicht eine Verbrecherin? Eine Spionin? Was waren das für Zustände im heiligen Russland, dass man eine unschuldige junge Frau bespitzeln ließ und einen glänzenden Offizier, der bereit war, Leben und Herz für sein Vaterland hinzugeben, in den Kerker sperrte?
„Richte Fürst Berjow aus, dass ich in Kürze abreisen werde“, sagte sie dem Boten, und sie wunderte sich selbst über den kühlen, beherrschten Ton ihrer Stimme.
Oh ja, sie würde abreisen. Aber nicht nach Wologdje zu ihrer Großmutter. Fürst Berjow würde sich gewaltig täuschen, wenn er glaubte, sie herumkommandieren zu können. In einem Punkt allerdings musste sie dem Fürsten – wenn auch widerwillig – recht geben. A. S. D. – was nur Andrej Semjonitsch Dorogin bedeuten konnte – war tatsächlich ein höchst widerwärtiges Subjekt. Aber zu diesem Urteil war sie auch ohne Fürst Berjows fürsorglichen Rat gelangt.
Als der Bote das Haus verlassen hatte, ordnete Natalja an, dass ihr Gepäck gerichtet würde.
„Den Pelz? Aber wozu braucht Ihr den Pelz, Herrin?“
„Tu, was ich dir sage! Und bring mir die kleine braune Reisetasche in den Salon.“
Während Marfa kopfschüttelnd die Treppen hinauflief, durchsuchte Natalja die Kommoden ihrer Großmutter. Sie nahm Schmuckstücke und das restliche Geld aus der Schatulle, dazu Silberbestecke, die Taschenuhr des Großvaters, einige kleine Figürchen aus Silber und die Salzstreuer. Sie steckte alle Wertsachen in die Reisetasche, dann überlegte sie, dass es vielleicht besser wäre, das Papiergeld in den Saum ihres Reisekleides einzunähen. Da Marfa oben mit Packen beschäftigt war, gelang es ihr unbemerkt, ihren Plan auszuführen, und sie war sehr stolz darauf, dass ihr diese kluge Vorsichtsmaßnahme eingefallen
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