Die Geliebte des Kosaken
müssen. Natalja rührte kaum etwas von dem gebotenen Abendessen an, nahm nur etwas Brot und ein wenig Suppe zu sich und zahlte jedem ihrer Diener einige Kopeken aus, dazu die Summe, die Serafim angeblich bereits ausgelegt hatte. Die Gesichter zeigten Enttäuschung – offensichtlich hatten sie geglaubt, jeden Abend einen Goldrubel zu verdienen.
„Lasst das Gepäck nicht aus den Augen“, trug sie Dimitrij auf und stieg dann, von Tante Veruschka begleitet, die enge Stiege hinauf.
Nie zuvor in ihrem Leben war sie so ärmlich untergekommen. Das Lager war niedrig, das Bettzeug schmuddelig, und ganz sicher gab es jede Menge Ungeziefer in den Ritzen von Boden und Holzwänden.
Natalja schauderte, sie wäre am liebsten davongelaufen, doch sie riss sich zusammen. War diese elende Kammer nicht noch ein ungeheurer Luxus gegenüber dem, was der arme Oleg in seinem dunklen Kerker erdulden musste?
Tante Veruschka jedenfalls schien weniger empfindlich, sie zog das Kleid aus, entledigte sich ihrer Schuhe und legte einige Decken zurecht, um neben ihrer Herrin der Ruhe zu pflegen. Natalja entschloss sich, das Kleid nicht abzulegen, schon wegen des Geldes, das im Saum eingenäht war. Sie kauerte sich auf dem schmierigen Lager zusammen, hoffte inständig, dass das Ungeziefer sie verschonen und lieber zu Tante Veruschka hinüberhüpfen würde, und schlief zu ihrer eigenen Überraschung rasch ein.
Ihr Schlaf war voller erschreckender Träume. Bald sah sie Oleg vor sich, der, in einem dunklen Loch angekettet, hilfesuchend die Arme nach ihr ausstreckte, bald hatte sie das Gefühl, auf einem schlingernden Kahn zu stehen, der auf bräunlichen, schlammigen Wellen dahintrieb, dann wieder glaubte sie, eine hell gekleidete Gestalt krieche über ihr Lager, berühre ihr Kleid, taste über ihre Hände, die das Täschchen mit ihrem Geld sogar im Schlaf noch fest umklammert hielten.
Als sie die Augen aufschlug, drang fahles Morgenlicht durch ein winziges Fensterchen in die Kammer, und sie brauchte einige Minuten, um sich darüber klarzuwerden, wo sie sich befand. Oh Gott – wie scheußlich dieser Verschlag war. Fast schien es ihr, als habe er gestern Abend noch nicht ganz so schlimm ausgesehen. Spinnweben hingen von der Holzdecke herab, und über die Farbe des Bettzeugs wollte sie besser keine Überlegungen anstellen.
Tante Veruschka war offensichtlich schon aufgestanden und hinunter in den Gastraum gegangen. Natalja erhob sich, streckte sich, so gut es ging, und verließ eilig diese Kammer des Schreckens. Unten fand sie nur Serafim und seine Frau Veruschka am Tisch sitzend vor, sie tranken Tee, aßen Kascha und flüsterten eifrig miteinander. Als Natalja sich ihnen näherte, brachen sie ihr leises Gespräch ab.
„Die Pferde sind gleich eingespannt, Herrin. Wir können aufbrechen, sobald Ihr Euer Frühstück eingenommen habt“, wandte sich Serafim an sie.
Natalja war ein wenig verwundert über die Eile. Noch gestern schienen die Diener keineswegs übereifrig zu sein, jetzt jedoch sah sie durch das Fenster, wie Igor und Wolodja fleißig und geschickt mit den Pferden zugange waren. Nun – es konnte ihr nur recht sein, sie hatte wenig Lust, sich hier in diesem scheußlichen Gasthof länger als nötig aufzuhalten.
Sie war hungrig, aß Brot mit Kascha, trank dazu gesüßten Tee und zahlte dann die Zeche, ohne zu handeln. Es erschien ihr viel für das wenige, das ihr geboten worden war, doch sie hatte wenig Lust, mit dem mürrischen, schnauzbärtigen Wirt herumzustreiten.
Erst als sie wieder in die Kutsche stieg, fiel ihr siedend heiß die Reisetasche ein, die sie gestern Abend leichtsinnigerweise dort gelassen hatte. Doch die Tasche stand zu ihrer ungeheuren Erleichterung unberührt auf dem Sitz, und sie nahm sich vor, in Zukunft vorsichtiger zu sein.
Dichte Wolken verbargen den Himmel, es würde bald regnen. Nicht lange, und der Weg führte durch dichtes Waldgebiet, auf schmaler, sandiger Fahrrinne zog die Kutsche dahin, jede Baumwurzel, jeder Stein waren schmerzhaft zu spüren. Natalja ärgerte sich insgeheim gewaltig über den armen Jefim, der sich so stur geweigert hatte, ihren Befehl auszuführen. Wie viel angenehmer und sicherer hätte sie sich jetzt in der schönen, gefederten Reisekutsche der Großmutter gefühlt.
Der Weg verengte sich zusehends, und Natalja begann, sich zu sorgen, denn die Kutsche fuhr immer langsamer. Auch Tante Veruschka, gestern noch vertraulich und schwatzhaft, schien heute schlechtgelaunt und starrte
Weitere Kostenlose Bücher