Die Geliebte des Kosaken
besser sein, dort im Trockenen auf Hilfe zu warten, als hier ganz allein im Wald zu stehen.
Sie schaute zum Himmel hinauf und sah dort nichts als schwere, dunkle Regenwolken. Vielleicht würde es den ganzen Tag über regnen – so lange konnte sie nicht warten. Seufzend tat sie einige Schritte aus dem Schutz des Baumes heraus, der Regen erfasste sie mit voller Kraft, und ihre Füße versanken im Morast. Natalja kümmerte sich nicht darum – jetzt war alles gleich, es zählte nur eines: das Dorf erreichen. Vorsichtig suchte sie vertrauenswürdige Stellen, auf die sie ihre Füße setzen konnte, sprang über Rinnsale hinweg, glitt von freigespülten Baumwurzeln ab – einmal verlor sie einen Schuh im Schlamm, und sie ruinierte ihr Kleid endgültig, weil sie sich auf den Boden hocken musste, um ihren Schuh wieder herauszufischen.
Dennoch kam sie nur sehr langsam voran, und ihre Sorge stieg beträchtlich, als sie an eine Wegkreuzung geriet. Sie versuchte, sich zu erinnern, ob die Kutsche hier abgebogen oder geradeaus gefahren war. Weshalb hatte sie auch nicht auf den Weg geachtet? Nie wieder würde sie sich einem Kutscher anvertrauen, ohne selbst genau die Strecke zu kennen.
Ach, wenn Oleg doch jetzt bei mir wäre, dachte sie unglücklich. Er würde ganz sicher wissen, wo wir uns befinden. Oleg hatte sie in St. Petersburg immer wieder durch seine Ortskenntnis verblüfft und herzlich über ihre Angewohnheit gelacht, sich einfach in die Droschke zu setzen und alles andere dem Kutscher zu überlassen. Gleich darauf wurde ihr klar, wie blödsinnig dieser Gedanke war. Sie hatte sich ja gerade deshalb in dieses Abenteuer gestürzt, weil Oleg eben nicht bei ihr war.
Wie aufs Stichwort erblickte sie unverhofft in einiger Entfernung die dunkle Silhouette eines Reiters. Sie kniff die Augen zusammen, um die Gestalt im dichten Regen besser erfassen zu können. Es war ein Mann, mit einem langen Umhang und breiten Hut bekleidet, er ritt seitlich des aufgeweichten Weges und schien es nicht gerade eilig zu haben. Natalja blieb stehen, unsicher, ob dies einen Glücksfall oder eine neue, noch größere Gefahr für sie bedeutete. Doch gleich darauf begriff sie, dass sie keine Wahl hatte, denn sie sah, dass er stutzte, sein Pferd zügelte und dann geradewegs auf sie zuhielt.
Er sieht nicht gerade aus wie ein Bauer, dachte sie. Und dazu hält er sich auf dem Pferd wie ein Offizier. Was für ein großer Kerl es ist. Und dieser breite Hut – nein, es muss ein wohlhabender Mann sein …
Sie winkte mit den Armen und lief dem Heranreitenden entgegen, wobei sie um ein Haar in eine Pfütze gefallen wäre. „Hilfe!“, rief sie. „Ich bin überfallen worden. Man hat mich beraubt, mir alles genommen. Könntet Ihr mich, um Gottes willen, zum nächsten Dorf mitnehmen?“
Der Mann hatte den Hut zum Schutz gegen den Regen tief ins Gesicht gezogen. Er hielt sein Tier an und musterte sie einen Augenblick wortlos.
„Allmächtiger“, hörte sie dann seine tiefe Stimme unter der Hutkrempe hervordringen. „Sagen Sie mir bitte, dass Sie ein Gespenst sind!“
„Was reden Sie da? Ich sagte doch: Man hat mich überfallen und beraubt …“ Sie hielt inne, denn irgendwie kam ihr die Stimme bekannt vor. Wo hatte sie nur diesen tiefen und zugleich ein wenig spöttischen Ton gehört?
„Überfallen und beraubt?“, wiederholte er langsam. „Wieso – bei allen Teufeln – treiben Sie sich überhaupt hier herum, schöne Dame?“
Er schob den Hut hoch, wobei ihm der Regen ins Gesicht schlug, und sie schrie vor Entsetzen hell auf. Das war nicht möglich, es musste ein böser Traum sein, aus dem sie ganz sicher gleich erwachen würde. Der Reiter war Andrej Semjonitsch Dorogin.
Natalja taumelte einige Schritte zurück – wäre der leibhaftige Teufel vor ihr erschienen, sie hätte nicht entsetzter sein können. Warum in aller Welt musste sie hier in dieser verzweifelten Lage ausgerechnet in die Hände dieses Menschen fallen?
„Was … was tun Sie hier?“, stammelte sie.
Er schien dieses Zusammentreffen ebenso wenig zu genießen wie sie, denn er starrte mit einer Miene auf sie herab, als sei sie eine giftige Kröte, die ihn gleich anfallen würde. „Ich reite meines Weges, Comtesse“, knurrte er.
Sie raffte den letzten Rest ihres Stolzes zusammen und sah verächtlich zu ihm hoch. „Dann lassen Sie sich nicht aufhalten, Andrej Semjonitsch.“
Fast hätte er gelacht. Sie stand triefend nass und voller Schlamm vor ihm, offensichtlich von
Weitere Kostenlose Bücher