Die Geliebte des Malers
weil sie inzwischen schon so lange die Pose hielt. Colin stand hinter der Staffelei, und Cassidy beobachtete, wie er den Pinsel immer wieder von der Palette auf die Leinwand und zurück führte. Er konnte für Stunden arbeiten, ohne Pause. Cassidy versuchte sich vorzustellen, wie er sie gemalt hatte.
Ob ihr Porträt wohl in The Gallery ausgestellt werden würde? Oder würde er es hier oben in irgendeiner Ecke stehen lassen, bis er entschied, was er mit dem Bild anfangen würde? Vielleicht würde es ja zu einem astronomisch hohen Preis verkauft und in irgendeinem alten Herrenhaus in England an der Wand hängen? Welchen Titel würde er dem Bild geben? Frau in Weiß. Frau mit Veilchen. Sie stellte sich vor, wie Kunststudenten an der Uni das Gemälde besprachen. Oder wie in hundert Jahren jemand ein vergessenes Gemälde auf einem staubigen Speicher fand und sich fragte, wer diese Frau wohl gewesen sein mochte.
Cassidy war sich nicht sicher, ob ihr diese Vorstellung gefiel. Wie viel von ihrer Seele würde Colin erkennen, und wie viel davon würde in Öl auf der Leinwand erscheinen? Würde sie im Endeffekt so nackt sein wie das Modell, das sich auf der Couch gerekelt hatte?
Colin fluchte deftig und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Sie riss die Augen auf, als er die Palette zu Boden schleuderte.
»Du hast dich bewegt!« Mit ausholenden Schritten kam er auf sie zu. Sie öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen, doch dazu kam sie gar nicht. »Halte still, verdammt!« Mit ungeduldigen Bewegungen schob und zerrte er an ihr, bis sie wieder so stand, wie er sich das vorstellte. Die Brauen hatte er verärgert zusammengezogen. »Ich werde dieses unruhige Zappeln nicht tolerieren!«
Die Entschuldigung war vergessen. Ihr Temperament flammte auf. Mit einem Ruck machte sie sich aus seinem Griff frei. »In diesem Ton wirst du nicht mit mir reden, Sullivan!« Sie warf den Veilchenstrauß auf die Fensterbank und funkelte Colin wütend an. »Ich habe nicht gezappelt, und wenn, dann nur, weil ich ein Mensch bin und weder ein Roboter noch eine Schaufensterpuppe.« Sie warf den Kopf zurück und zerstörte damit das Kunstwerk, das er aus ihren Haaren arrangiert hatte. »Ich kann mir vorstellen, dass es für jemanden, der in solch unerreichbaren Gefilden schwebt wie ein Gott, schwer sein muss, es zu verstehen, aber … wir können nicht alle perfekt sein!«
»Nach deinen Ansichten wird hier weder gefragt noch sind sie erwünscht.« Colins Stimme klirrte vor Kälte, während seine Augen wütende Flammen schleuderten. »Ich will nur eines von einem Modell: Es soll stillstehen.« Er packte sie bei den Schultern. »Deine Temperamentsausbrüche kannst du dir sparen.«
»Dann geh und male einen Baum«, fauchte sie. »Der gibt keine Widerworte, und er bewegt sich auch nicht.« Sie schwang auf dem Absatz herum, doch er fasste sie beim Arm und hielt sie fest. Seine Augen blitzten gefährlich.
»Niemand lässt mich so einfach stehen!«
»Nein?« Seine Überheblichkeit ärgerte sie nur noch mehr. »Dann sieh mal genau hin!« Sie kehrte ihm den Rücken zu, doch sie kam keine zwei Schritte weit, bevor er sie wieder zu sich herumwirbelte. »Lass mich los«, stieß sie aus. Ihr Blut begann zu kochen. Die Nerven, die seit einer Woche so angespannt waren, wollten mit ihr durchgehen. »Ich habe nichts mehr zu sagen, und für heute bin ich garantiert fertig damit, deine Pose zu halten!«
»Na schön.« Sein Griff an ihrem Arm wurde fester. »Aber zwischen uns gibt es ja noch mehr als nur Malen und Reden, nicht wahr?« Jede Silbe stieß er hart aus, während er sie zu sich heranzog.
Cassidy schlug das Herz bis zum Hals. Das Funkeln in seinen Augen jagte ihr Angst ein. Sie konnte sehen, dass sein Temperament mit ihm durchging, dass er ihren Protest unbeachtet in Flammen aufgehen lassen würde. Colin war ein leidenschaftlicher Mann, und sie wusste, dass seine dunkle Seite sie beide an einen Punkt führen könnte, von dem es keine Umkehr mehr gab. Verzweifelt bog sie sich zurück, um den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Doch er folgte ihr und presste seinen Mund auf ihre Lippen. Sie konnte seine Wut schmecken.
Ihr Protest erstickte. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, denn sie wusste, dass sie ihm im Moment völlig ausgeliefert war. Seine Lippen waren unnachgiebig, seine Zunge verlangte Einlass in ihren Mund. Sein Kuss war wild und gierig und sehr intim. Als Cassidy den Kopf abwenden wollte, griff Colin in ihr Haar. Hinter ihren
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