Die Geliebte des Malers
unterbrochen zu werden. Ich dachte mir, es sei besser, wenn ich es erst erwähne, nachdem ich es ganz gelesen habe.« Mit den Daumen streichelte er abwesend ihre Handrücken. »Du hast etwas, Cass, das man nur bei wenigen findet, eine außerordentliche Gabe. Talent. Das hat man dir nicht in Berkeley beigebracht, das ist etwas, mit dem du geboren wurdest. Die Jahre auf dem College haben diese Gabe vielleicht verfeinert, haben dich die nötige Disziplin gelehrt. Aber du hast das alles schon immer in dir getragen.«
Cassidy hatte die Luft angehalten und atmete endlich aus. Erstaunlich, dass die Meinung eines Mannes, den sie kaum eine Woche kannte, ihr so wichtig sein sollte. Jeffs Kompliment hatte ihr geschmeichelt, Colins raubte ihr die Worte.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Hilflos schüttelte sie den Kopf. »Das hört sich banal an, ich weiß, aber es ist wahr.« Ihr Blick glitt an Colin vorbei zu ihrem Schreibtisch, wo die verstreuten Seiten lagen. »Manchmal möchte man es am liebsten einfach alles wegwerfen. Im Grunde ist es all die Mühe und den Kampf nicht wert.«
»Es passt zu dir, dass du die Schriftstellerei gewählt hast«, meinte Colin.
»Nein, ich hatte nie eine Wahl.« Sie sah wieder zu ihm. Das Violett ihrer Augen schimmerte fast schwarz in dem dämmrigen Lichtschein. »Falls überhaupt, dann hat die Schriftstellerei mich ausgesucht. Hast du etwa die bewusste Entscheidung getroffen, Maler zu werden, Colin?«
Er musterte sie lange, bevor er den Kopf schüttelte. »Nein.« Er drehte ihre Hände, sodass ihre Handflächen nach oben zeigten, und studierte mit zusammengezogenen Brauen die Linien. »Manche Dinge geschehen einfach mit uns, ob wir es wollen oder nicht. Glaubst du an das Schicksal, Cass?«
Sie befeuchtete ihre plötzlich trockenen Lippen und schluckte. »Ja«, hauchte sie.
»Natürlich. Ich war sicher, dass du daran glaubst.« Er hob das Gesicht, und sein Blick bohrte sich in ihre Augen. Cassidys Herz setzte einen Schlag lang aus. »Glaubst du, es ist unser Schicksal, miteinander zu schlafen?« Stumm schüttelte sie den Kopf. »Du bist eine schlechte Lügnerin«, bemerkte er. Dann fasste er sanft ihr Kinn und beugte den Kopf, um seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen.
Sein Kuss stand in krassem Gegensatz zu dem von Jeff. Jeffs Kuss war angenehm und beruhigend gewesen, dieser hier jagte einen Stoß durch ihren Körper, der jede Zelle in ihr erschütterte. Abwehrend zog Cassidy den Kopf zurück.
»Nicht!«
»Warum nicht?«, konterte er mit der Gegenfrage, und seine Stimme war tief und leise. »Ein Kuss ist etwas Simples, es ist nur das Aufeinandertreffen von Lippen.«
»Nein, nichts daran ist simpel«, widersprach sie. Allein mit seinem Blick schien er sie näher zu sich heranzuziehen. »Du nimmst dir mehr als das.«
Er küsste erst ihre eine Wange, dann die andere, ganz zart nur, flüchtig. Cassidy schloss die Augen. »Ich nehme mir nur so viel, wie du bereit bist zu geben. Nicht mehr.« Damit ließ er seine Lippen zu ihrem Mund wandern, lockend, verführend, verheißend, bis ihr das Blut in den Ohren rauschte. Seine Finger lagen sanft an ihrem Gesicht. »Du schmeckst nach etwas, das ich längst vergessen hatte. Natürlichkeit und Unschuld. Küss mich, Cass, ich brauche dich.«
Und mit einem leisen Stöhnen, halb verzweifelt, halb verwundert, gewährte sie ihm, was er brauchte.
Flammen loderten zwischen ihnen auf, heiß und gierig. Cassidys Verstand sandte eine schnelle, verzweifelte Warnung aus, nur um ignoriert zu werden. Die Sehnsucht nach Colin war alles, was Cassidy antrieb. Ihre Lippen wurden mutiger, verwegener, während seine Hände ihre sanften Kurven erkundeten. Die Furcht, die sie verspürte, mischte sich mit ihrer Erregung. Es war die Angst davor, die Kontrolle zu verlieren. Ein ursprüngliches Verlangen ergriff Besitz von ihr, ein Bedürfnis, das schon seit Anbeginn der Zeit bestand.
Plötzlich löste Colin seinen Mund von ihren Lippen und drückte ihn an ihren Hals. Cassidy erschauerte und legte den Kopf in den Nacken. Er knabberte an ihrem Ohrläppchen, und ihre Haut begann unter seiner Liebkosung zu glühen. Seine Hände fanden den Weg unter ihr T-Shirt, berührten ihre seidenweiche Haut.
Seine Daumen streiften flüchtig ihre Brust, und Cassidy hatte das Gefühl, vor Sehnsucht zu vergehen. Sie musste sich an ihn lehnen, sonst hätten ihre Beine sie nicht mehr getragen. Für einen Moment, als ihre Lippen sich wieder trafen, gehörte sie ihm ganz. Sie hätte
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