Die Geliebte des Normannen
kommen«, erklärte Mary stoisch. »Ich muss mit Vater sprechen.«
»Und was ist so wichtig, dass du den ganzen Weg hierher geritten bist, um mich zu sehen, ohne die Erlaubnis deines Gemahls?«, fragte Malcolm.
Mary wirbelte herum. Er stand hinter ihr, seine Miene steinern und kalt wie seine Stimme. Noch nie hatte er so mit ihr gesprochen. Ihr freudiger Begrüßungsschrei erstarb auf den Lippen, sie hielt abrupt vor ihm inne.
»Vater?«
»Ich habe dich etwas gefragt.«
Mary straffte die Schultern. »Können wir unter vier Augen miteinander reden?«
Was war los? Was lief falsch?
»Weshalb? Hast du vor deinen Brüdern etwas zu verbergen?«
»Warum redest du so abweisend mit mir?«, fragte Mary zitternd. »Du tust, als wärst du verärgert – als würdest du mich hassen.«
»Ich bin verärgert!«, brüllte Malcolm; seine tiefe Stimme hallte durch die Nacht. Männer vor anderen Zelten und Feuern drehten sich zu ihnen um. »Du hast mir nicht gehorcht, und das habe ich nicht vergessen. Habe ich dir etwa nicht erklärt, warum ich dir erlaubte, diesen Bastard zu heiraten? Ich hätte dich auch nach Frankreich schicken können. Ich hätte dich auch mit einem alten, armen Lord aus dem Norden verheiraten können. Aber das war die perfekte Gelegenheit, meine eigene Tochter mit einem von ihnen zu verheiraten, mitten unter sie zu bringen.«
Mary erstarrte zur Salzsäule.
»Du hast mich nicht vor der Invasion von Carlisle gewarnt. Wegen deines Verrats ist Carlisle verloren!«
Mary rang nach Atem. Sie fühlte sich kurz vor einer Ohnmacht.
Am liebsten wäre sie auf der Stelle tot umgefallen.
»Sag, was du sagen musst, und mach schnell!«, herrschte Malcolm sie an. »Ich habe keine Zeit zu vertrödeln. Aber falls du gekommen sein solltest, um eine Nachricht von deinem Gemahl zu überbringen, wie Edmund meinte, dann mach dir erst gar nicht Mühe. Zwischen uns gibt es nichts mehr zu bereden. Die Zeit der Worte ist vorüber. Die Zeit der Schwerter ist angebrochen.«
»Ich habe dich nicht verraten«, brachte Mary endlich hervor. Die Dunkelheit nahm ihr die Sicht – oder waren es Tränen? »Ich habe ein Gelübde abgelegt, Vater, das Gelübde, meinem Gemahl zu gehorchen. Es war falsch von dir, von mir zu fordern, es zu brechen. Und es war noch falscher von dir, der Heirat zuzustimmen in dem Gedanken, mich zu deiner Spionin machen zu wollen.«
Malcolm erhob seine Hand. Mary schrie auf. Edward und Edgar sprangen auf ihren Vater zu und hielten ihn zurück, bevor er Mary niederschlagen konnte. Doch er kam wieder zur Besinnung und ließ die Faust keuchend sinken.
»Du bist nicht mehr meine Tochter!«, erklärte er barsch. »Vater!«, rief Mary entsetzt.
»Hast du gehört?«, schrie Malcolm. »Du bist nicht mehr meine Tochter!«
»Aber ich liebe dich!« Malcolm ignorierte sie. »Meine Tochter ist ein tapferes schottisches Mädchen«, knurrte er wutentbrannt, »nicht so eine wie du. Du bist nicht meine Tochter!«
Sie hatte geweint, lautlos, doch nun hörten die Tränen erstaunlicherweise auf. Sie richtete sich auf, straffte die Schultern. Innerlich fühlte sie sich tot. Tot – oder alt, unglaublich alt. Doch ihr Verstand arbeitete. Und vor sich sah sie das Bild ihres mächtigen Gemahls. Es war unrecht von ihrem Vater, sie zu verstoßen, aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Sie gehörte einem anderen, sie gehörte Stephen de Warenne.
»Ich habe vor Gott gelobt«, flüsterte Mary. Sie hörte sich selbst und war überrascht, dass sie so ruhig und würdevoll klingen konnte, obwohl sie innerlich so niedergeschlagen und zerrissen war.
»Gelöbnisse dem Feind gegenüber muss man brechen. Ganz besonders solche, die man einem Kerl wie Stephen de Warenne macht.« Malcolm bemühte sich um Fassung. Sein Gesicht war hochrot. Er beugte sich über die Tochter, die er soeben verstoßen hatte. »Nun, Madame, was habt Ihr zu sagen? Sprecht schnell und verschwindet dann!«
Mary hob stolz das Kinn.
»Ich bin gekommen, um dich zu bitten, diesen Wahnsinn zu beenden. Bitte, zieh dich zurück. Zieh dich zurück, bevor Hunderte von Männern sterben, bevor diese Grenze von unschuldigem Blut überflutet wird.«
Malcolm reagierte mit Misstrauen.
»Dein Gemahl hat dich geschickt. Ist er am Ende doch ein Feigling? Hat er Angst, mir auf dem Schlachtfeld gegenüberzutreten?« Malcolm lachte. »Er weiß, dass ich dieses Mal nicht verlieren kann! Dieses Mal werde ich siegen! Noch nie hat es ein solches schottisches Heer gegeben, der Sieg ist
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