Die Geliebte des Normannen
schon so klug sein?
»Dann hilfst du mir also, indem du nichts verrätst?« Isobel musterte sie fragend.
»Und Ihr kommt bestimmt wieder?«
»Natürlich.« Mary sah, dass Isobel so unsicher war, dass sie zögerte. »Ich liebe Stephen, Isobel.«
Jetzt funkelten Isobels Augen begeistert.
»Ich werde Euch helfen. Ich werde Euch helfen, diesen Krieg aufzuhalten, und ich werde Euch helfen, Stephens Liebe wiederzugewinnen!«
Am Abend desselben Tages, bei Einbruch der Dämmerung, wurde Mary auf ihrem Weg zum Lager des schottischen Heeres von einem Reiter um die feindlichen Linien – die ihres Gemahls – herumeskortiert.
Jamie, der Schotte, der sie begleitete, war ein starker junger Mann, der ihr bereitwillig seine Hilfe anbot, sobald sie sich ihm und seiner Familie auf deren kleinem Bauernhof am Ostrand der Cheviot Hills zu erkennen gegeben hatte. Es war kein Geheimnis, dass Malcolms riesige Armee auf der Ebene nördlich von Liddel lagerte, und auch nicht, dass die normannischen Heere an den sanften Abhängen südlich von Carlisle kampierten.
Von dem Bauernhof aus waren sie auf Wildwechseln direkt nach Westen in die Hügel geritten und dann bald nach Süden abgebogen. Sie mussten vorsichtig sein. Die beiden Armeen hatten sich fest verschanzt und waren meilenweit südlich von ihnen, aber bewaffnete Normannen und Engländer, Vasallen oder Verbündete von Marys Gemahl, ritten noch über das Land, um sich Stephen anzuschließen. Deshalb wagten sie nicht, die alte Römerstraße zu benutzen, sondern folgten Pfaden auf den Hügeln oberhalb der Straße. Zweimal mussten Mary und Jamie ihre alten Rösser zum Galopp antreiben und sich in einem Wäldchen oder einem tief eingeschnittenen Wasserlauf verstecken. Furchtsam kauerten sie sich neben ihren Pferden zusammen, als die schwer bewaffneten normannischen Ritter auf ihren großen Streitrössern auf der Straße unterhalb bedrohlich und gefährlich nahe an ihnen vorüberzogen.
Hatte Mary anfangs nicht gewusst, wie tollkühn ihr Plan war, so wusste sie es nun. Wenn sie von einem dieser Ritter erwischt worden wäre, hätte keiner ihr geglaubt, Stephens Gemahlin zu sein.
Über ihr und Jamies Schicksal in seinem solchen Fall nachzudenken war geradezu unerträglich.
Die Ironie der Situation konnte größer nicht sein. Stephens Truppen waren nun der Feind, obwohl sie ihn so sehr liebte.
Als die Sonne bereits tief stand und das Licht fahl und grau wurde, war es an der Zeit, die alte Römerstraße hinter sich zu lassen. Der Fluss Tyne wandte sich nach Süden und die beiden Reiter nach Westen, weg von der Straße und hinein in den Wald, nunmehr ernstlich auf der Suche nach Malcolms Lager. Carlisle lag nur mehr wenige Meilen vor ihnen.
Jamie war ein heller Kopf; er hatte es den ganzen Tag über geschafft, Mary von der Gefahr, in der sie sich befanden, abzulenken. Doch nun verschwand sein zahnlückiges Grinsen, und obwohl es kalt war, stand ihm Schweiß auf der Stirn. Und Mary erging es nicht anders; ihr Herz pochte furchtsam.
Die schottische Armee war nicht weit weg, ebenso wenig die der Normannen, und zweifellos würden die ganze Nacht über viele Patrouillen unterwegs sein. Sie hatten mittlerweile beide große Angst davor, von normannischen Wachen erwischt zu werden.
Mary und Jamie befürchteten eine schlimme Wendung des Schicksals. Ihre Mission würde scheitern, wenn man sie jetzt gefangen nahm, dem Erfolg zum Greifen nahe.
Zehn Minuten, nachdem sie die Straße verlassen hatten, wurden sie von einer Patrouille angesprochen. Ihr rauer Hochlanddialekt entlarvte die Männer jedoch sofort als Schotten, und Jamie und Mary lachten erleichtert auf. Lieber Gott, sie hatten es geschafft! Irgendwie waren sie an Hunderten normannischen Truppen vorbeigekommen, waren ihren Wachen entgangen und hatten sicheres schottisches Terrain erreicht!
Trotz ihrer Verkleidung wurde Mary sofort erkannt, nachdem sie ihren Umhang abgelegt hatte, noch ehe sie überhaupt ihren Namen nennen konnte. Die großen, stämmigen Schotten in ihren Trachten konnten nicht glauben, Mary hier zu sehen.
Keiner fragte sie, was sie wolle, doch die anfängliche Fassungslosigkeit der Männer wich rasch vergnügt grinsenden Mienen. Mary wusste, was sie dachten. Sie dachten, sie käme nach Hause und würde ihren Gemahl im Stich lassen.
Rasch brach die Nacht herein, doch Mary sah noch genug, um von der Größe von Malcolms Lager schockiert zu sein. Jamie hatte damit geprahlt, obwohl er lediglich Gerüchte gehört hatte, und
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