Die Geliebte des Piraten
erlitten hatte; aber es gab keinen Grund, das Schuldgefühl seines Vaters noch größer zu machen als es schon war.
»Ich habe gedient, seit ich ein Junge von kaum mehr als zehn Jahren war, und als sich die Gelegenheit ergab, floh ich nach Madagaskar. Ich verliebte mich und heiratete.«
Granvilles Augen wurden groß. »Du kannst nicht älter als achtzehn gewesen sein.«
»Ja, knapp.«
»Weiß Willa davon?«
Raiden ignorierte die Frage. Willa ging seinen Vater nichts an. »Meine Frau und ich machten unsere Hochzeitsreise nach England«, erzählte er ohne zu stocken weiter. »Unterwegs stattete die britische Marine unserem Schiff einen Besuch ab, um nach ›Freiwilligen‹ Ausschau zu halten. Ich hatte die schlechte Behandlung und die Schläge, die einen dort erwarteten, bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen.« Raidens Finger krampften sich so fest um das Glas, das es zu zerbrechen drohte. »Ich weigerte mich, und der englische Kapitän nahm meine Frau in seinen Gewahrsam. Ich vermutete, dass es noch um etwas anderes gehen musste, denn den Mann schien mein Name sehr viel stärker zu beschäftigen als meine Person. Er zwang mich und Shamir, in seine Kabine zu gehen. Ohne Zeugen.« Raiden starrte auf einen Punkt auf dem Teppich, als er sich an das Geschehen erinnerte, das fast fünfzehn Jahre zurücklag. »Ich war stolz und befahl dem Kapitän, uns allein zu lassen.«
»Du hast dir einen rachsüchtigen Mann zum Feind gemacht, Sohn.«
Raiden zuckte bei dieser liebevollen Anrede zusammen und schaute auf. Seine Augen verengten sich, so schmerzlich waren die Erinnerungen. »Der Kapitän hat mich nach Euch gefragt. Und, mit dem Ergebnis offensichtlich unzufrieden, stellte er mich vor eine Wahl.« Raiden stürzte den Rest Rum herunter und ging rasch zum Schrank, um das Glas neu zu füllen. Seine Hand zitterte leicht, als er es an die Lippen setzte. Doch statt zu trinken, stellte er das Glas mit einer heftigen Bewegung auf der Kommode ab und der Rum spritzte über seine Hand. Er schloss die Augen und schluckte mühsam. Granville sah, dass der Rücken seines Sohnes sich anspannte und dass er die Hände zu Fäusten ballte, um seiner Wut Herr zu werden.
»Die Wahl …«, flüsterte Raiden, »… die Alternative, vor die er mich stellte, war überhaupt keine Alternative. Er wollte gar nicht, dass ich in der Marine diente. Jetzt weiß ich, dass er mich für das bezahlen lassen wollte, was Ihr getan hattet!« Härte lag in seinem Blick, als er seinen Vater ansah. »In der Abgeschiedenheit seiner Kabine befahl Dunfee mir zu wählen, wer sterben sollte.« Raidens Miene spiegelte größtes Leid wider. »Ich oder meine Frau.«
»Mein Gott.« Granville stürzte den Rum in einem Zug hinunter.
Raiden hörte ihn nicht, zu stark wühlte ihn die Erinnerung auf. »Ich habe ihn angefleht, mich zu töten und sie freizulassen, sie zurück nach Madagaskar zu schicken, sie war erst sechzehn Jahre alt. O Gott, sie hatte solch entsetzliche Angst. Und ich war hilflos. So erbärmlich hilflos.« Raiden legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, seine Stimme klang rau. »Also fiel ich vor diesem Mann auf die Knie und flehte um das Leben der einzigen Familie, die ich je gehabt hatte.«
»Es tut mir Leid, Sohn.«
Raiden schaute in sein Glas und leerte es. Den nächsten Schluck trank er aus der Flasche. Nachdem er sich den Mund mit dem Handrücken abgewischt hatte, sprach er mit tödlich ruhiger Stimme weiter. »Dunfee wartete auf den Augenblick, in dem ich geschlagen war, in dem ich zu Kreuze kriechend und besiegt am Boden lag … dann hat er sie vor meinen Augen umgebracht.«
Granville stöhnte gequält auf, in seinen Augen standen Tränen, als das Bild, das Raiden gezeichnet hatte, in seinem Kopf explodierte. Er ist viel zu jung, um so viel Grausames erlebt zu haben, dachte er und schlug die Hände vors Gesicht. »Es ist kein Wunder, dass du mich so hasst.«
»Er tötete meine Frau, weil ich Euren Namen trug! Er hat sie abgeschlachtet, dann die Kabine verwüstet und sich selbst Schnittwunden beigebracht, damit alles so aussah, als hätte ich ihn angegriffen, als wäre sie durch meine Hand gestorben. Ich stürzte mich auf ihn und habe mir das hier verdient.« Er legte den Kopf in den Nacken und zeigte die sichelförmige Narbe, die am Kieferknochen entlang vom Kinn zum Ohr verlief. »Er hat mich auf ein Gefangenenschiff bringen lassen, auf dem ich jahrelang blieb, bis eine Meuterei uns alle befreite.«
Raiden ließ sich auf
Weitere Kostenlose Bücher