Die Geliebte des Piraten
Männer sah in ihre Richtung. Sie zog sich rasch zurück und runzelte die Stirn. Nein. Es musste ein Trugschluss sein.
»Was ist denn da draußen?« Rajani wollte hinausschauen, aber Willa hinderte sie daran.
Die Kutsche hielt an, um Fußgänger über die Straße zu lassen, und Willa wagte einen Blick zurück. Der Mann bahnte sich seinen Weg um Körbe und Fässer herum und kam durch das grelle Sonnenlicht auf die Kutsche zu. Die Kutsche fuhr wieder an, und der Ruck warf Willa unsanft auf ihren Sitz zurück.
Es kann nicht Raiden gewesen sein, dachte sie und lehnte Rajanis Hilfe ab, als sie sich in ihren schweren Röcken abmühte, sich wieder aufzurichten. Willa drehte sich um und versuchte, durch das kleine Fenster hinter sich zu schauen, doch die berittenen Soldaten, die ihr folgten, versperrten die Sicht. Sie ließ sich in das Lederpolster sinken und fächelte sich Luft zu. Warum, so fragte sie sich, schlägt mein Herz schneller, wenn ich nur an ihn denke?
Sie öffnete die kleine Silberflasche und trank hastig daraus. Denn sie wusste genau, warum. Sie wusste es mit schmerzlicher Klarheit.
»Du hast sie angestarrt, wie du einst als Junge ein Tablett mit Essen angesehen hast.«
Raiden sah der Kutsche nach, als Tristan hinter ihn trat. »Diesen Jungen gibt es nicht mehr, und der Mann hat kein Verlangen mehr danach.« Und doch war es so, wie es in seiner Jugend gewesen war und wie es immer für ihn sein würde: Die verführerischsten Leckerbissen blieben unerreichbar für ihn.
»Vergiss die Lady. Sie wird zu gut bewacht; außerdem hast du es bereits abgelehnt, sie für unsere Zwecke einzuspannen.«
Raiden sah den Freund an. »Sie kennt meinen Namen.« Tristan unterdrückte einen derben Fluch, und Raiden zog in gespieltem Entsetzen die Augenbrauen hoch. »Ihr flucht, Master Dysart? Ich bin schockiert.«
»Bei allem was heilig ist – aber welcher Teufel hat dich geritten, ihr deinen Namen … ach, vergiss es. Ich habe die Lady ja auch gesehen.« Tristans Miene wurde säuerlich. »Ich kann mir schon denken, welcher Teil deiner Anatomie dich dazu getrieben hat.«
Raiden runzelte die Stirn und schaute noch einmal zur Kutsche hinüber, als diese um die Ecke verschwand. Offensichtlich war Willa auf dem Weg zum Hotel, dem besten weit und breit, und dennoch hatte diese teure Festung ihren Diener nicht beschützen können. Wie konnte sie dann dort sicher sein? In was für Geschäfte war sie verwickelt, um einen solch schlimmen Überfall heraufzubeschwören? Hatte dieser Anschlag überhaupt ihr gegolten oder war es die Vergeltung für etwas gewesen, was sie oder jemand anderer getan hatte? Sie in der Kutsche der Company sitzen zu sehen, löste eine Flut von Mutmaßungen in Raiden aus, denn der Wagen gehörte Barkmon höchstpersönlich. War sie seine Geliebte? Raiden wusste, wie Barkmons Frau aussah, die ebenso rundlich war wie ihr Ehemann. Sie war keine Konkurrenz für Willa.
»Kennst du ihren Familiennamen?«
Raiden schüttelte den Kopf.
»Ich könnte es leicht in Erfahrung bringen.«
»Vazeen hat es bereits versucht«, sagte Raiden. »Offensichtlich halten die Diener im Hotel große Stücke auf sie, denn sie haben nichts über sie verraten, was zu gebrauchen wäre.«
»Was haben sie gesagt?«
»Dass sie allein angekommen ist – bis auf ihre Diener. Eine englische Zofe hat sie gleich fortgeschickt und sie durch ein indisches Mädchen ersetzt. Und der Diener ist, wie wir wissen, tot.«
Tristan kniff die blauen Augen zusammen. »Könnte dieser Überfall ihr gegolten haben?«
»In Anbetracht ihrer scharfen Zunge wäre das keine Überraschung.« Raiden hatte sich kaum wieder dem Ladenbesitzer zugewandt, als ein Reiter die Straße heruntergaloppiert kam. Die Menschen stoben vor ihm zur Seite, hinter ihm wirbelte eine Staubwolke auf. Raiden sprang zurück, als der Mann vorbeipreschte. »Das ist Atcheson«, sagte er und schaute dem Captain nach, dessen Ziel ganz offensichtlich das Hauptquartier der East India Company war.
Ein Glas zersprang klirrend hinter Raiden an der Wand, und Inhalt und Scherben verteilten sich über seine Schultern. Gleichmütig klopfte er sich die Glassplitter von den Kleidern, während er seine Männer aufforderte, sich aus der Schlägerei herauszuhalten, die jeden Augenblick im Red Raven Inn zu entbrennen drohte.
»Das geht uns nichts an«, ermahnte er sie und lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück, das eine Bein lässig über dessen Armlehne gelegt, während er an seinem
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