Die Geliebte des Piraten
groß und hatte breite Schultern. Unter der Mütze, die er tief in die Stirn gezogen hatte, schaute das zu einem Zopf geflochtene dunkle Haar hervor.
»Wie ist er zu uns gestoßen?«
»Er hat Cheston und Curry gestern Abend das Leben gerettet – und mir auch.«
Raiden sah ihn fragend an.
Dysart zuckte die Schultern. »Englische Soldaten verstehen keinen Spaß, wenn wir uns an ihren Vorräten bedienen.«
Raiden fluchte. »Zur Hölle mit dir, Mann, wir können für diese Waren bezahlen. In diesen Häfen zu stehlen, erregt nur Aufmerksamkeit.«
»Du musst mich weder an meine Fehler noch an die Gefahren erinnern. Denn unglücklicherweise habe ich diese am eigenen Leib erfahren.« Er schlug seinen Mantel zurück und enthüllte einen angetrockneten Blutfleck auf seinem ursprünglich einmal weißem Hemd.
»Wie schlimm ist es?« Raiden war aufrichtig besorgt.
»Ich werde es überleben.«
»Gut, denn ich hätte auch keine Zeit, das Kindermädchen für dich zu spielen.«
Dysart schnaubte. Dieser Mann kennt wirklich kein Mitleid, dachte er. Zumal er es mehr als einmal erlebt hatte, dass Raiden im Kampf gegen die East India Company seine eigenen Verletzungen ignoriert hatte, nur um einen weiteren der Soldaten zur Strecke zur bringen. »Ich könnte die Lady bitten, sich darum zu kümmern.«
Raiden ließ sich sein Fernrohr bringen und richtete es auf den Horizont. »Das Risiko würde ich nicht eingehen.«
Bei dieser ruhig ausgesprochenen Warnung richtete sich Tristan auf, zuckte aber sofort zusammen und hielt sich die verletzte Seite, als er sich neben Raiden stellte.
»Von meinem ersten Offizier erwarte ich mehr Einsicht«, sagte Raiden leise. Er ließ das Fernrohr sinken und sah den Freund an. »Oder bereitet dir die Seeräuberei irgendein Unbehagen?«
Tristan lächelte. Er bekam diese spöttische Frage häufiger von Raiden zu hören, denn er, Tristan, war als Sohn eines Peers geboren und erzogen worden. Als zweiter Sohn eines Peers, unglücklicherweise, und wenn Tristan auch kein Erbe zu erwarten hatte, so hatte seine Herkunft doch Spuren hinterlassen, die er nicht leugnen konnte. Ebenso wenig wie er seinen Leichtsinn abstreiten konnte, der ihn auch an Bord eines Gefangenenschiffes gebracht hatte und auf dem er Raidens Kojennachbar geworden war. »Ich gewöhne mich langsam daran.«
»Du betreibst dieses Geschäft ja auch erst seit zehn Jahren«, spottete Raiden gutmütig und schob das Fernrohr zusammen. Freundschaftlich legte er Tristan die Hand auf die Schulter. Dysart, der immer ganz Gentleman war und sich gezwungen gesehen hatte, sein Glück auf eigene Faust zu machen, hatte Raiden lesen und rechnen gelehrt und ihm noch weitere, einen Gentleman auszeichnende Fertigkeiten beigebracht wie zum Beispiel Umgangsformen und Auftreten. Als Gegenleistung hatte Raiden ihm alles vermittelt, was er über die Seefahrt und Schiffe wusste. Diese Zeit hatte sie zu engen Freunden gemacht, wie Raiden kaum einen zweiten hatte. Darüber hinaus genoss sein Quartermeister nicht nur das volle Vertrauen der Mannschaft, wenn es darum ging, die Beute zu teilen und bei ernsthaften Verletzungen die entsprechenden Geldzahlungen vorzunehmen, sondern er war auch der erste Offizier der Renegade. »Ruf die Männer zusammen.«
Tristan rief dem Bootsmann den Befehl zu, woraufhin dieser einen schrillen Ton aus seiner Pfeife abgab. Die Männer der Besatzung versammelten sich auf dem Achterdeck. Raiden setzte sich auf die Reling und schaute zu seinen Leuten herunter. »Wer hat sich uns angeschlossen?«
Ein Mann hob die Hand, und Raiden winkte ihn zu sich. Der Seemann kam mit gesenktem Kopf näher. »Allem Anschein nach ein Mann, der mir nicht in die Augen sehen kann.« Der so Angesprochene hob den Kopf, und Raiden runzelte die Stirn. Der Mann war groß und stämmig und viel älter als Raiden gedacht hatte. Er hatte einen Jüngeren erwartet, zumal er die jungen englischen Soldaten im Kampf besiegt hatte. »Euer Name?«
»Nealy Perth, Captain.«
»Schwört jetzt Euren Eid, Mr Perth, und haltet Euch an die Gesetze dieses Schiffes und dieser Mannschaft, oder Ihr werdet im nächsten Hafen an Land gesetzt werden. Wir wollen niemanden an Bord haben, der nicht hier sein möchte.«
Der Mann leistete den Schwur, und nach einem Beifallsruf der Mannschaft und einem Extrahurra von Cheston und Curry breitete sich erwartungsvolle Stille unter der Besatzung aus, als Raiden die beiden Seeleute eindringlich ansah. Sein Blick machte ihnen klar, dass sie die
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