Die Geliebte des Piraten
und er sah, wie sie um ihr Kind trauerte. Er warf den Graphitstift auf den Tisch, ging mit großen Schritten zur Truhe, griff nach dem Kleid und warf es Willa in den Schoß.
»Ihr zieht Euch sofort an. Ich werde nicht dulden, dass Ihr Euch vor meinen Männern in so aufreizenden Gewändern zeigt und versucht, sie zu verführen.«
Kühl und abweisend sah sie ihn an.
Raidens Zorn kochte über. »Verdammt, Willa, wollt Ihr wirklich weiter so dahinsiechen, bis nichts mehr von Euch da ist?«
»Mir ist nur noch das geblieben, Pirat. Ihr habt mir meine letzte Chance genommen, Mason zu finden.«
Großer Gott, musste sie gerade jetzt seinen Namen aussprechen? Raiden empfand sein Schuldbewusstsein wie eine tobende Welle, die ihn fortzureißen drohte. Und so sehr er sich auch anstrengte, es zu ignorieren, so konnte nichts die erdrückende Erinnerung aufhalten, die in ihm aufstieg. Die Erinnerung an Angst und Einsamkeit, an ein Leben ohne Hoffnung und ohne die Liebe einer Mutter und die Geborgenheit, die nur sie geben konnte. Wenn Willas Sohn noch lebte, litt er entsetzliche Angst. Wenn er tot war, war er ganz allein gestorben. Raiden verfluchte diesen Tag, diesen Augenblick, und was immer den Jungen aus Willas Armen gerissen hatte. Aber es waren derer zu viele, denen er Rede und Antwort stehen musste, es waren zu viele Männer, die ihn überstimmen könnten. »Ich werde Euch sonst höchstpersönlich anziehen«, drohte er Willa an und versuchte, ihre flehende Verzweiflung an sich abprallen zu lassen.
Ihr Blick warnte ihn, Hand an sie zu legen.
Gott im Himmel, am liebsten würde er sie packen und durchschütteln. »Ich kann mich nicht auf die Suche nach einem Kind machen, das höchstwahrscheinlich tot ist«, stieß er mühsam hervor. »Ich habe eigene Pläne, die ich verfolgen muss.«
Die Unentschlossenheit, die sie aus diesen Worten herauszuhören glaubte, ließ Willa aufspringen. »Er ist nicht tot, und Ihr könnt ihn finden. Ich weiß, dass Ihr es könnt. Ihr seid der Einzige, der es kann.« Sekundenlang erwiderte sie seinen Blick. Als sie die Weigerung darin erkannte, wandte sie Raiden abrupt den Rücken zu.
Raiden focht einen schweren Kampf mit sich. Er verabscheute es, Willa in dieser Verfassung zu sehen, fast bereit sich aufzugeben und zu sterben, doch ihr Glaube, er könnte den Jungen finden, entbehrte jeder Grundlage. Er konnte das Kind ebenso wenig finden wie er den Mond vom Himmel holen konnte, damit sie ihn sich um den Hals hängte. Und ebenso wenig durfte er sich von einem hübschen Gesicht und einem schönen Körper verleiten lassen. Oder von einer anrührenden Geschichte. Er hatte schon zu viele gehört, um sich davon noch beeindrucken zu lassen.
Doch es waren ihre Unerschrockenheit und ihr Glaube an ihn, die ihr die Kraft gaben, ihn selbst dann noch herauszufordern, wenn er die Pistole auf sie gerichtet hielt. Wenn er ehrlich war, hatte er bereits darüber nachgedacht, die Durchführung seiner Pläne mit ihrer Bitte zu verbinden, aber er wollte vermeiden, dass Willa ihn für edel und hochherzig hielt. Denn seine Beweggründe waren rein selbstsüchtiger Natur. Wenn er ihr half, dann nur um der Informationen willen, an die er auf diese Weise herankommen würde. Sie kannte Barkmons Absichten, und Barkmon war das Herz der Royal East India. Nichtsdestotrotz weckte Willa Gefühle in Raiden, die er seit vielen Jahren unterdrückt hatte, und er wusste, dass es nur einen Weg gab, eine Grenze zwischen ihnen zu ziehen. Eine Grenze, die er brauchte. Er würde ihr einen Handel anbieten. Einen Handel, der sie aus ihrer Lethargie reißen würde. Denn ihren Zorn fürchtete er nicht, womit er nicht umgehen konnte, das waren ihr Mitgefühl und ihre Wünsche. Ja, ein Handel, einen, auf den sie sich niemals einlassen würde und der so niederträchtig war, dass sie ihn hassen musste.
»Ich werde Euch helfen, den Jungen zu finden.«
Willa fuhr herum. Neue Hoffnung spiegelte sich in ihren Augen wider. Ihr strahlendes Lächeln griff nach seinem Herzen.
»Für eine Gegenleistung.«
Sie zog die Augenbrauen zusammen und schaute auf die goldgefüllte Truhe, die auf dem Boden stand. »Aber Ihr wolltet meine Juwelen nicht. Und etwas anderes habe ich nicht anzubieten.«
»Doch, das habt Ihr.« Langsam ging Raiden auf Willa zu, sein dunkler Blick glitt über ihren Körper und verweilte sekundenlang auf ihren Brüsten, ehe er aufschaute und ihr in die Augen sah.
Willa holte tief Luft, und das Blut schoss ihr ins Gesicht. »Ihr
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